Aus dem Gleichgewicht (II)

Die Nachrichten der letzten 24 Stunden zeigen nicht nur Gleichgewichtsstörungen unserer Demokratie, sondern eine bedrohliche Schieflage unseres Rechtsstaates: Statt Multimilliarden-schweren Betrug und Untreue am eigenen Volk aufzuklären, werden Sündenböcke und Zensur-Infrastrukturen geschaffen sowie die Aufklärung des IKB-Steuergeldmilliardenraubes kalt lächelnd ausgehebelt.

Es ist kaum noch zu ertragen. Während die politische Diskussion von leyenhaften Ministerinnen beherrscht wird, die jeden politisch Andersdenkenden, die es auch in ihrer eigenen Partei reichlich gibt, gleich vorsorglich zum Kinderschänder machen, wird kalt lächelnd vom neuen Großaktionär der IKB, der amerikanischen Lonestar, die Sonderprüfung bei der Düsseldorfer Skandalbank IKB gekippt, mit der die Minderheitsaktionäre die Verantwortlichkeiten für multimilliardenschwere Untreue dokumentieren lassen wollten, mit riesigen Auswirkungen auf die Aufklärung der Ursachen und Verantwortlichkeiten der Finanzkrise in Deutschland insgesamt.

Wir erinnern uns: Nach zweistelligen Milliarden-Stützungsaktionen des Bundes für die teilweise im Staatsbesitz befindliche IKB-Bank, deren Ursache neben dem Vorstand der IKB Ex-IKB Aufsichtsrat und Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Jörg Asmussen (SPD), und seine Chefs massgeblich gesetzt haben, wurde die Bank von eben diesem Ministerium für einen vergleichsweise lächerlichen Betrag möglichst schnell an den US-Finanzinvestor Lonestar verkauft. Offenbar mit dem Gentlemen Agreement, dass dieser dann als neuer Mehrheitsaktionär mit ǘber 90 % der Aktien-Stimmen jegliche Aufklärung bei der Bank verhindern möge. Zuvor war ein parlamentarischer IKB-Untersuchungsausschuss an der Feigheit der FDP gescheitert, wodurch die Opposition im Bundestag nicht genug Stimmen für die Einsetzung des Gremiums zustande bekam.

Offenbar werden wir Zeugen des Angstbeißens einer moralisch und intellektuell völlig abgewirtschafteten Machtelite, die durch ihr Verhalten den Rechtsfrieden in unserem Land massiv gefährdet und die in sechzig Jahren Demokratie und Rechtsstaat durchaus aufgeklärte und informierte Bürger deshalb überwachen, kriminalisieren und für Dumm verkaufen will. Ein Dorn im Auge dabei ist ihnen das Internet, weil es ein hohes Maß an Demokratisierung von Informationsbeschaffung, -verteilung und Transparenz ermöglicht. Schon immer war es eine Strategie der Mächtigen, bei der Bedrohung eigener Machtpositionen einen Popanz aufzubauen. Spielten diese Rolle früher Juden, Homosexuelle oder offenbar teils auch Terroristen, sind es neuerdings die Pädophilen. Leider gibt es dafür nun zu viele Indizien, als dass man noch an Zufall glauben könnte:

  • Mit der Einführung der Vorratsdatenspeicherung zum 1.1.2009 wird jeglicher Email- und Telefonverkehr kontrolliert, jedenfalls wer mit wem Informationen austauscht, und das im Superwahljahr.
  • Gleichzeitig wurden zum 1.1.2009 zuvor bereits verschärfte Vorschriften angeblich zum Kinderschutz erlassen, die in hohem Maße Unschuldige Strafverfolgungsmaßnahmen aussetzen, wie ein mit der Materie beruflich vertrauter Strafverteidiger dokumentiert hat ("Die Legende von der Kinderpornoindustrie"). Material dafür liefert die Überwachung des Internet.
  • Ein sich für die Bürgerrechte im besonderen Maße engagierender Abgeordneter wird nach dem gleichen Strickmuster kriminalisiert und seine politische Einflußmöglichkeit durch Vorverurteilung zu einem Zeitpunkt auf Null reduziert, wo die einschlägigen Entscheidungen durchgepeitscht werden sollen.
  • Der Vorsitzende des Immunitätsausschusses des Bundestages ist der Schwiegersohn des Innenministers, gegenüber dem der Immunitätsausschuss die Arbeit der Abgeordneten kraft Verfassung in besonderem Maße gewährleisten soll.
  • Der Angriff auf "Wikileaks" ist ebenfalls nach dem gleichen Muster gestrickt.
  • Gleichermaßen soll eine flächendeckende Internet-Zensur-Infrastruktur geschaffen werden - da bereits ein zufälliges Aufrufen künftig gesperrter Webseiten das Risiko von Strafverfolgungsmaßnahmen mit sich bringen kann, ist jede öffentliche Kontrolle darüber, was gesperrt wird, faktisch ausgeschaltet. Im Gegenzug ist auch nicht mehr für den Bürger überprüfbar, ob überhaupt eine Strafverfolgung der ja vorgeblich wegen strafrechtlich relevanter Inhalte gesperrten Webseiten stattfindet.
  • Derselbe Innenminister, der all dies vorantreibt, hat gemeinsam mit seinem Amtsvorgänger den deutschen Micky-Maus-Polizeifunk geschaffen. Mit einem erfolgreichen Projekt hätte er weit mehr für die öffentliche Sicherheit erreicht, als mit jeder seiner überflüssigen Gesetzesinitiativen, die sich meist als verfassungswidrig herausstellen.
  • Die Firma Lonestar, Profiteuer des IKB-Skandals, wird gerne mal von der Kanzlei des CDU-Bundestagsabgeordneten Friedrich Merz vertreten, der auch Mitglied im Rechtsausschuss und stv. Mitglied des Finanzausschuss des Bundestages ist.
  • Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz I enthält Klauseln, die eine nach § 113 der Bundeshaushaltsordnung normalerweise vorgesehene Kontrolle auch der Beteiligungen des Bundes durch den Bundesrechnungshof für den "Rettungsfonds" verhindern (Artikel 1 § 6 Abs. 2 letzter Satz). D.h. der Bundesrechnungshof kann nur den Fonds insgesamt, nicht aber seine Beteiligungen prüfen - somit wird auch dort die Aufklärung der Ursachen der Finanzkrise durch eine unabhängige Stelle gezielt verhindert.
  • Das Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz in der jetzt vom Bundestag dem Bundesrat zugeleiteten Fassung enthält Klauseln (§7d), die die Minderheitsrechte von Aktionären durch Ausschluss des Konzernrechts bei Beteiligungen des Rettungsfonds, also des Bundes, ausschalten; dies umfaßt nach dem Aktiengesetz auch ein entsprechendes Recht, Sonderprüfungen als Minderheit durchzusetzen - auch hier wieder Verhindern der Aufklärung.
  • Die vom Bundesverfassungsgericht bisher noch heldenhaft verteidigten Bürgerrechte sollen durch den Vorrang des europäischen Rechts durch den EU Vertrag von Lissabon gleich generell ausgehebelt werden.
  • Eine Strafverfolgung für die mulitmilliardenschweren Vermögensdelikte, deren Zeuge wir derzeit werden, findet nicht statt, sondern es wird versucht, dokumentierende Beweise - wie sie bei der Sonderprüfung bei der IKB entstanden wären - beiseite zu schaffen.

Armes Deutschland, und was soll man im Herbst wählen?

Siehe auch Aus dem Gleichgewicht, Teil I
und Teil III

zum Begriff des Sündenbocks bei Wikipedia

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