Die virtuelle Rede: Wo sind die Milliarden?

Ursprünglich sollte die nachstehende Rede auf der heutigen Hauptversammlung der Deutschen Telekom AG vorgetragen werden. Statt dessen stellen wir sie ins Netz.

Ursprünglich sollte meine nachstehende Rede auf der heutigen [Do 12. Mai 2011] Hauptversammlung vorgetragen werden. Aber welchen Sinn macht ein Vortrag, der sich an eine Verwaltung richtet, die schon 2003 ähnliche Argumente von Wolfgang Philipp komplett ignoriert hat? An eine Hauptversammlung, wo seit 2002 kein wirklicher Dialog stattfindet und entgegen aller Staatsrechtslehre demokratisch nicht kontrollierte Vertreter des Bundes mit ihrer faktischen Hauptversammlungsmehrheit alles bestimmen? Und sich den ganzen Tag zu ärgern? Es macht daher mehr Sinn, die Rede direkt an die Öffentlichkeit zu richten und sie also statt dessen ins Netz zu stellen. - Von Dr. Martin Weigele, früherer stv. Aufsichtsratsvorsitzender von T-Mobile und Herausgeber von T-Blog.

Wo sind die Milliarden?


Meine sehr verehrten Damen und Herren, mein Name ist Dr. Martin Weigele, Aktionär (mit einer Aktie) und ehemaliger Manager der Deutschen Telekom AG aus Bonn. Von 1994 bis zu Beginn des Jahres 2000 war ich als Arbeitnehmervertreter stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates der inzwischen gesellschaftsrechtlich verwursteten T-Mobile und arbeitete in dieser Funktion unter anderem mit Telekomchef und T-Mobile Aufsichtsratsvorsitzendem Ron Sommer mehrere Jahre zusammen. Meine Insiderkenntnis beschränkt sich jedoch trotz mehrjährigem beruflichem USA-Aufenthalt für die Telekom in den Dingen, die ich hier vortrage, auf den Charakter der handelnden Personen. Alles andere ist längst in vielen kleinen Mosaiksteinen öffentlich bekannt. Meinen Vortrag können sie, auch im Falle, dass ich ihn nicht vollständig vortragen kann, in meinem Internetblog T-Blog.de nachlesen. Da es hier heute um den Verbleib und konstruktive Vorschläge für die mögliche Wiedergewinnung von mindestens 60, vielleicht sogar 100 der Telekom fehlenden Milliarden Euro geht, erwarte ich ihre Nachsicht in bezug auf die Redezeit, sollte ich nicht rechtzeitig fertig werden.

Kant


Vor knapp einem Vierteljahrtausend hat ein großer, wenn nicht der größte deutsche Philosoph geschrieben:
"Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne."
Von diesem Grundgesetz der praktischen Vernunft, so steht es zu befürchten, war nicht nur Ron Sommer bei seinen internationalen Deals, die uns bis heute hier beschäftigen, Lichtjahre entfernt, sondern es steht zu befürchten, dass auch der heutige Vorstand und Aufsichtsrat davon gleichermassen genau so weit entfernt ist, wie die Milchstraße von der Andromeda-Galaxis. Wo praktische Vernunft nicht hinreicht, hat allerdings zum Trost für uns alle der deutsche Gesetzgeber schon im Jahre 1900 die bis heute geltende rechtliche Vorschrift des § 138 BGB formuliert:

Sittenwidrigkeit


"Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig". Schon das Reichsgericht, aber auch der heutige Bundesgerichtshof subsumiert unter die Vorschrift des § 138 BGB auch all die Fälle, in denen ein zur Vertretung berechtigter - etwa der Vorstand einer Aktiengesellschaft - zum Schaden des Vertretenen - etwa der Deutschen Telekom AG - mit Geschäftspartnern zusammenwirkt. Die Juristen bezeichnen diese Fallgestaltung als Kollusion - solcherart abgeschlossene Geschäfte oder Deals sind nach § 138 BGB von Anfang an nichtig und müssen rückabgewickelt werden.

"Gutachten"


Fraglich ist nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind die internationalen Deals der Deutschen Telekom in den USA, vielleicht auch noch anderswo, von Ron Sommer oder auch anderen Vertretungsberechtigten gemeinsam mit den Geschäftspartnern - darunter meist die durch die Finanzkrise einschlägig bekanntgewordene ehemalige US Investment Bank Goldman Sachs zu Lasten der Deutschen Telekom AG und/oder ihrer Aktionäre verabredet worden und deshalb nichtig?


Dazu müßte es ein Zusammenspiel z.B. von Käufer Telekom-Chef Ron Sommer und den amerikanischen Verkäufern und/oder den vermittelnden Investmentbankern zum Nachteil der Deutschen Telekom AG gegeben haben. Alternativ käme auch eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung allein durch die Investmentbanken, vor allem Goldman Sachs in Betracht. Gibt es dafür Beweise? Ich meine, es gibt jedenfalls eine Fülle von Indizien, und einige davon sind schon durch die Rede von Rechtsanwalt Dr. Philipp auf der Hauptversammlung im Jahre 2003 bzw. seinem Buch "Die Telekom-Ballade" offen- und aktenkundig geworden. Als dieses Buch geschrieben wurde, war allerdings über die Strippenzieher im Hintergrund noch nicht so viel bekannt. Dies hat sich durch die Diskussion über die Finanzkrise seit 2008 geändert. Man muss wohl heute davon ausgehen, dass sich die Investmentbanken bei der Privatisierung und Internationalisierung von Post und Telekom AG in ihrem verheerenden Plünderungsfeldzug gegen die Realwirtschaft schon einmal für die spätere Finanzkrise und von ihnen initiierte "Bankenrettung" in USA und Europa warmgelaufen haben.

Der Deal war völlig überteuert.


Grob geschätzt dürfte der Wert von Voicestream, des Vorläufers von T-Mobile USA, sowie der weiteren Zukäufe in der Folge der Jahrtausendwende vielleicht bei 2,5-10% des Kaufpreises gelegen haben, also ein bis vier Milliarden statt 40 Milliarden Euro. Warum hat Ron Sommer also zehnfach oder mehr überzahlt?

Rechtfertigungsgründe?


Als mögliche "Rechtfertigungsgründe" für das angeblich unternehmerisch begründbare Handeln von Sommer wurden in der Vergangenheit entweder Größenwahn oder aber schlicht marktgerechtes Handeln in der Boomphase der Internetblase genannt.

Meine Damen und Herren, diese Rechtfertigungsgründe taugen nichts:

1. Habe ich Ron Sommer als jederzeit extrem kontrolliert vorgehenden Machtmenschen erlebt. Das spricht, trotz seiner starken Affinität zur Macht und im Lichte der Erkenntnisse über die Akteure der Finanzkrise von 2008, die mit unseren Akteuren zum großen Teil identisch sind, eher gegen den Größenwahn.

2. Gegen das marktgerechte Handeln spricht, dass der frühere Finanzchef Dr. Kröske schon vor kleineren Deals mit entsprechenden irrsinnigen Bewertungen eindringlich gewarnt hatte und dann das Unternehmen verließ, Ron Sommer blieb, die Finanzabteilung wurde personell konform gemacht.

3. Gegen das marktgerechte Handeln spricht weiter, dass unter Ron Sommer - mutmasslich nicht nur dort befördert von Goldman Sachs - bei der Deutschen Telekom die Pro-Forma Berichterstattung die reguläre Finanzberichterstattung bis zum heutigen Tage weitgehend verdrängt hat. Pro-Forma bedeutet ja nichts anderes als "als-ob". Ich definiere mir ein EBITDA zurecht, dass heißt, ich tue so, als müßte ich keine Zinsen bezahlen, keine Abschreibungen tätigen, und schließlich auch keine Steuern bezahlen. Das ist dann mein neuer Gewinn! Damit verschleiere ich gezielt die wesentlichen wirtschaftlichen Parameter eines Unternehmens, erst recht eines Netzbetreibers - denn entscheidend für die Kosten eines Mobilfunkunternehmens wie Voicestream, heute T-Mobile USA, oder die frühere T-Mobile Deutschland, sind genau die Zinsen und Abschreibungen auf die teure Infrastruktur einschließlich Lizenzen! Die Einführung dieser Art der Berichterstattung legte den Grundstein zur gezielten Täuschung der unbedarften Öffentlichkeit einschließlich Arbeitnehmervertreter über die finanziellen Verhältnisse der Deutschen Telekom und vieler anderer DAX-Unternehmen im allgemeinen und über den Voicestream- bzw. die T-Mobile USA-Deals im besonderen, mutmasslich zum Zwecke der gezielten Plünderung - mit großem Täuschungserfolg bis vor kurzem, hätte nicht die Nennung eines Verkaufspreises für T-Mobile USA ein Stück weit die Hosen heruntergelassen.

4. Bei einer für Kapitalflussrechnungen üblichen Rechnung mit 8 Prozent Zinsen per annum ergibt sich nun über zehn Jahre aus dem T-Mobile USA Kauf (40 Milliarden Euro) und Verkauf (27 Milliarden Euro) ein Verlust für die Deutsche Telekom von ca. 60 Milliarden Euro, ohne Berücksichtigung der zahllosen zusätzlichen Milliarden von Investitionensmittel, die innerhalb des Konzerns in die USA flossen. Es können daher auch 100 Milliarden Euro Verlust sein - und noch mehr, wenn der Deal an den Kartellbehörden scheitert.

    An dieser Stelle eine Frage an den Vorstand: Wie hoch ist der Gesamtverlust aus der Differenz des Ankaufs der Unternehmensteile vor knapp zehn Jahren und des hypothetischen Gesamtverkaufs von T-Mobile USA heute inklusive geflossener Investitionsmittel und Finanzierungen unter Zugrundelegung üblicher Discount Cashflow Berechnungsmethoden mit 8 % Zins? Sind es 100 Milliarden Euro Verlust, die Herr Obermann als ehemaliger Teil des Teams Ron Sommer mitverantwortet?

5. Nach Recherchen des amerikanischen Journalisten Matt Taibbi, die im Rolling Stones Magazin in USA veröffentlicht wurden, hat die ehemalige US Investment Bank Goldman Sachs in ihrer Geschichte seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer wieder künstliche Blasen volkswirtschaftlicher Dimension verursacht, und dann auf das Kaputtgehen der jeweiligen Geschäfte gegen die eigenen Geschäftspartner mit Termingeschäften gewettet. Nachgewiesen scheint dies auf jeden Fall für die Ereignisse der Finanzkrise im Jahre 2008, die am Ende sogar zur Ausplünderung der Staatshaushalte in USA und Deutschland durch sogenannte Bankenrettung führte. Matt Taibbi schreibt, dass auch die Internet- und "New Economy" Blase um die Jahrtausendwende, in deren Rahmen sich auch die kostspielige Akquisition von T-Mobile USA ereignet hat, u.a. von Goldman Sachs gezielt herbeigeführt worden sein soll.

6. Kurz bevor Ron Sommer als Telekom-Chef abgelöst wurde, hat ausgerechnet der damalige Chef von Goldman Sachs, Henry Paulson¹, ihn als weitsichtigen Manager und Chef der Deutschen Telekom öffentlich hochgelobt. Objektiv hätte er wissen müssen, dass Ron Sommer der Deutschen Telekom 64 Milliarden Schulden und mit 25 Milliarden Euro im Jahr 2003 den bis zur Finanzkrise größten Fehlbetrag der deutschen Wirtschaftsgeschichte hinterließ. Warum lobte er ihn und seine einzigartigen Fähigkeiten als Manager trotz dessen sogar wirtschaftsgeschichtlich einzigartig krassen Management-Versagens? Warum erhielt Ron Sommer trotzdem weiterhin Top-Management Jobs im Netzwerk von mit Goldman Sachs zusammenarbeitender Finanzinstitutionen, wie etwa Blackstone, die ja auch im hiesigen Aufsichtsrat sitzen? Eine solche Verhaltensweise ist ganz klar nur dann rational erklärbar, wenn nicht der Nutzen der Deutschen Telekom AG, für die Sommer eine Vermögensbetreuungspflicht hatte, sondern der kollusive Nutzen von persönlichen Netzwerken im Vordergrund stand.

7. Im Rahmen des von den "Volksaktionären" vor zehn Jahren begonnenen Prozesses über die Rechtmäßigkeit der 3. Börsenganges wollten die persönlichen Profiteure des Voicestream Deals, in deren Privatvermögen sich etliche Milliarden des Deals bis heute befinden dürften, jüngst nicht nach Deutschland reisen, um vor dem Frankfurter Oberlandesgericht als Zeugen auszusagen. Früher waren jedenfalls einige dieser Profiteure durchaus öfters und gerne in Deutschland unterwegs. Sie wurden dann bekanntlich vom OLG Frankfurt in USA vernommen. Warum empfanden diese "global players", diese Zeugen eine Aussage vor einem Gericht in Deutschland offenbar als persönliches Risiko, das es zu vermeiden galt? Empfanden sie Unbehagen wegen möglicher Reaktionen auf ihren unglaublich dreisten Deal?
 
8. Aus realwirtschaftlicher Sicht gab es jenseits der Dimension einer Deutschen Telekom AG nie wirkliche Synergieeffekte aus einer Internationalisierung ausserhalb unmittelbar angrenzender Territorien in Europa, denn eine Netzinfrastruktur ist an ein Territorium gebunden. Ist der Netzbetreiber hinreichend groß, ist der realwirtschaftliche Nutzen aus Fusionen und Zukäufen im Vergleich zu den internen Reibungsverlusten übergroßer Organisationen gleich null oder sogar negativ - ausser natürlich man zockt finanzwirtschaftlich herum wie verrückt, dann darf man sich aber eben nicht verspekulieren - wie offenbar gerade wieder bei OTE in Griechenland. Wer glaubt, dass er als realwirtschaftliches Unternehmen über ausreichende Kompetenz für raffinierteste Spekulationen verfügt, um den abgefeimtesten Investmentbankern Paroli bieten zu können, wird zu deren Opfer, wenn er nicht selbst Mittäter ist.

9. Michael Lewis, Autor des dokumentarischen Finanzkrisenthrillers "The Big Short", schreibt "Düsseldorf - Stupid Germans. They take the rating agencies seriously. They believe in the rules."
Dieser Satz, auch wenn er sich dort auf die Finanzkrise und nicht auf die Deutsche Telekom bezieht - dieser Satz erscheint mir charakteristisch für den Umgang der Verantwortlichen des deutschen Staates und der Deutschen Telekom AG mit der Privatisierung und Internationalisierung der Deutschen Telekom AG einschließlich des  USA-Abenteuers von T-Mobile - heute freilich noch getoppt vom absurden Umgang mit der Finanzkrise, wo trotz Billionenschadens für die Allgemeinheit bisher keiner der Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurde.

Ergebnis


Meine Damen und Herren von Vorstand und Aufsichtsrat, wegen möglicher Verjährung - die allerdings im Hinblick auf frühere staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, die Summen und die mißbräuchliche Geheimerklärung eines einschlägigen  Rechnungshofberichtes nach § 96 StPO durch die damalige Regierung Schröder durch das Rechtsstaatsprinzip gehemmt sein könnte - ist es kurz vor Zwölf. Handeln Sie jetzt und im Konzert mit der Staatsanwaltschaft, um die hier vorgetragenen Indizien zu gerichtsfesten Beweisen für das Vorliegen einer Kollusion oder vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu erhärten. Falls die Beweislage zutrifft, gibt es einen Plan B für T-Mobile USA - also auch wenn die Kartellbehörden der USA dem Verkauf an AT&T nicht zustimmen - die abhanden gekommenen Milliarden des USA-Deals im Falle seiner nachgewiesenen Sittenwidrigkeit heimzuholen. Erfüllen Sie endlich Ihre Vermögensbetreuungspflichten ohne falsche Rücksichtnahmen - im Interesse der Aktionäre, der Kunden, der Mitarbeiter, ja sogar des Deutschen Staates. Das gilt vor allem auch für den Bundesfinanzminister als nach wie vor per Hauptversammlungsmehrheit faktisch bestimmenden Aktionär der Deutschen Telekom AG!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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¹) späterer Finanzminister der USA in der Regierung von Präsident Bush, der auch die "Bankenrettung" durchführte. Sämtliche US amerikanischen Finanzminister seit der Präsidentschaft Clinton bis heute waren frühere Führungskräfte von Goldman-Sachs.

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