Die Telekom Ballade
Manchmal hat es auch etwas Gutes, wenn man mit Grippe im Bett liegt
und nicht viel anderes tun kann. So habe ich im Mai 2007 von dort aus
die Hauptversammlung der Deutschen Telekom AG 2007 in der
Internet-Übertragung verfolgt. Einer der Redner war Rechtsanwalt
Wolfgang Philipp, erfahrener Wirtschaftssenior, der als
Aktionärsvertreter eine Reihe von Hinweisen gab, die mich im Hinblick
auf eigene Erfahrungen stutzig machten. Nach einiger Recherche stieß
ich auf ein von ihm kürzlich veröffentlichtes Buch mit dem
vielversprechenden Titel: "Die Telekom-Ballade, Wegweiser in eine
andere Republik", das preiswert in der
ATE-Edition
des
LIT-Verlages in Münster erschienen ist. Der Wirtschaftsanwalt
argumentierte als einziger Redner in der Hauptversammlung, dass der
dort heftig ausgetragene Konflikt zwischen Management und
Arbeitnehmervertretern der Gewerkschaft ver.di im Grunde gar nicht von
den Beteiligten gelöst werden könne, da die Ursachen für die Probleme
viel tiefer lägen. Freilich ging darauf niemand ein.
Und in der Tat: In dreizehn Strophen beschreibt der promovierte
Wirtschaftsjurist Wolfgang Philipp in bisher einzigartiger und präziser
Form die ganz und gar unglaublichen Vorgänge um die Privatisierung der
Telekom, die bisher eher bruchstückweise bekannt geworden sind, in
einer ganzheitlichen Darstellung und stellt sie in den Zusammenhang
einer politischen Agenda. Unabhängig davon, ob man ihm auch bei diesem
Zusammenhang immer beipflichten möchte, bleiben allein die skandalösen
Fakten unerhört. Denn der Autor erklärt im Detail, dass vieles dafür
spricht, dass die Deutsche Telekom AG bei ihrer Gründung gar keinen
Wert hatte, sondern dieser Wert erst durch die Einzahlungen der
"Volksaktionäre" durch deren Bareinlagen zustande kam. Damit aber nicht
genug: Hinzu kam ein von Anfang an vorhandener Personalüberhang von
60.000 Mitarbeitern, der die junge AG, d.h. die neuen Aktiönäre, aber
nicht mehr die verantwortlichen Politiker belastete. "Mephisto ist
nicht dumm", sagt der Autor und zitiert Goethes Faust: "Den Teufel
spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte."
Weitere Strophen befassen sich mit den zu Verkehrs-, nicht aber zum Niederstwertprinzip bewerteten Grundstücken und fehlenden Pensionsrückstellungen in Milliardenhöhe. Der Autor stellt fest, dass nach dem zweiten Börsengang 1999 nicht nur die bisher in ihrer Substanz eigentlich wertlosen Aktien des Bundes durch das Geld der Aktiensparer um 12 Milliarden zum alleinigen Nutzen des Bundes aufgewertet waren. Zitat: "Die 'Volksaktie' hatte dazu gedient, rund 12 Milliarden Euro Ersparnisse der Bürger wirtschaftlich auf den Bund zu übertragen und dadurch zu sozialisieren."
Mit dem dritten Börsengang schließlich verkaufte nicht die Telekom Aktien, sondern eigentlich der Bund - ließ aber die Risiken des Eigentümers kurzerhand das Unternehmen tragen, d.h. also auch die vielen Kleinaktionäre, denn der Vorstand mußte das ganze bisher ohne Vergütung und Risikoübernahme für seinen Großaktionäre Bund durchführen, siehe hierzu auch ein Urteil des Bonner Landgerichts in der FTD vom 14.6.2007 . Dieses Urteil, das jetzt auch - absurderweise anonymisiert - in der Justizdatenbank nachlesbar ist, bestätigt vollumfänglich die Kritik des Autors.
Der nächste Akt ist in der siebten Strophe beschrieben. Um die Kasse
des Unternehmens zu schonen, wurde der amerikanische Mobilfunkbetreiber
"Voicestream" nicht mit Bargeld bezahlt, sondern durch Aktientausch. So
wurde das unternehmerische Risiko mit dem völlig überhöhten Kaufpreis
von 34 Milliarden Euro von der Ebene der Gesellschaft auf die Ebene der
Gesellschafter, also der Aktionäre verlagert.
Damit aber nicht genug: Eine weitere Ausplünderung der Stakeholder
der Deutschen Telekom AG erfolgte durch die UMTS-Auktion, bei der der
Staat, zugleich aber auch bestimmender Gesellschafter der Telekom(!),
50 Milliarden Euro einnahm, davon wurden 15 Milliarden Euro durch den
Großaktionär Bund dem eigenen Unternehmen entzogen und statt dessen
eine kaum werthaltige Lizenz in der Bilanz aktiviert. [update
23.11.2007]
Der Bundesgerichtshof (BGH) wird die vom Autor angestrengte Revision zu
seiner diesbezüglichen Klage wohl verhandeln.
Die zehnte Strophe fasst es schließlich als "sozialistische
Beuteschau" zusammen:
Der Finanzminister hat seinen
"Volksaktionären" zwischen 57 Milliarden und 70 Milliarden Euro im
Grunde für NICHTS abgenommen.
In der elften Strophe wird dann
beschrieben, dass Ron Sommer dem Kanzler für den daraus entstandenen
Volkszorn, an dessen Ursachen er eigentlich einen geringeren Anteil als
der Bund hatte, quasi als Bauernopfer dienen mußte, wodurch Kanzler
Schröder auch erfolgreich die Bundestagswahl 2002 gewann!
In den letzten beiden Strophen schließlich bilanziert der Autor den
verheerenden Schaden für unser Gemeinwesen, der durch das zerstörte
Vertrauen in die Zukunft wirkt, und kommt zu dem Schluß, dass "die
dargestellten Stationen der Telekom-Privatisierung allen
rechtsstaatlichen und wirtschaftspolitischen Traditionen" diese Landes
widersprachen und die Bürger "wie Schafe zur Schlachtbank" geführt
werden. "Ludwig Erhard und auch Karl Schiller haben keine Erben mehr."
"Die Telekom-Ballade ist Wegweiser in eine andere Republik."
Wolfgang Philipp, Die Telekom-Ballade, AT-Edition, ISBN 3-89781-093-X, 6.90 €
Siehe auch "UMTS-Schadenersatz: Staatsraison vs. Recht", 3.3.2008
Das Büchlein von Wolfgang Philipp scheint wieder (10.7.2009) lieferbar.
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