Ärzte-Urteil gegen hessischen Zwangspensionierungsgutachter in Auszügen
Die Frankfurter Rundschau hat die in einem Rechtsstaat ungeheuerlichen Vorgänge
hier ausführlich
zusammenfassend dokumentiert. Das Gießener Heilberufegericht spricht ausdrücklich von vorsätzlichem Handeln des Gutachters - ggf. auf wessen Veranlassung konnte es im Rahmen seiner Aufgabenstellung nicht prüfen. "Das Berufsgericht für Heilberufe verhandelt und entscheidet in der
Besetzung mit einem Berufsrichter als Vorsitzendem und zwei
ehrenamtlichen Richtern aus der Berufsgruppe des Beschuldigten" (§ 52 Abs. 1 Satz 1 Hessisches Heilberufsgesetz):
Urteil zu § 22 Hessisches Heilberufsgesetz; § 25 Satz 1 der Berufsordnung für die Ärzte und Ärztinnen in Hessen (VG Gießen, Berufsgericht für Heilberufe, 16.11.2009,
Aktenzeichen: 21 K 1220/09.GI.B).
Dem Beschuldigten wird unter Erteilung eines Verweises wegen
Verstoßes gegen seine ärztlichen Berufspflichten eine Geldbuße in
Höhe von 12.000,00 Euro auferlegt.
Der Beschuldigte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Gebühr wird auf 1.500,00 Euro festgesetzt.
Auszüge aus dem Text:
8. Bei den betroffenen Probanden handelt es sich um drei Finanzbeamte und eine Finanzbeamtin im Range eines Amtmanns/Amtsfrau (Besoldungsskala A 12), welche sich Beschwerde führend wegen nicht ordnungsgemäßer Begutachtung im Sinne des ärztlichen Berufsrechts an die Landesärztekammer Hessen gewandt haben. Sie waren vormals Mitarbeiter der Steuerfahndungsabteilung des Finanzamtes in A-Stadt. Ihre Gruppe, zu der weitere Steuerfahnder gehörten, war Mitte der neunziger Jahre bis Anfang 2000 in der Überwachung bestimmter Handlungsfelder von Großbanken eingesetzt. Sie deckten Fälle auf, in denen Banken in anonymen großen Sammelbeträgen die Guthaben einzelner Bankkunden gebündelt dorthin überwiesen, wo es kein Quellensteuerverfahren für Zinserträge gab. Dort wurden die transferierten Geldbeträge auf die einzelnen Konten der Bankkunden gebucht (sogenannte anonymisierte Kapitalflucht). Nach eigenen Angaben führten die Fahndungserfolge der Beschwerdeführer und ihrer Kollegen und Kolleginnen in jener Zeit bundesweit zu Steuernachforderungen in beträchtlicher Höhe. In der zweiten Hälfte des Jahres 2001 erging eine sogenannte Amtsverfügung an die vier Probanden, mit welcher der Anfangsverdacht für Ermittlungen neu definiert wurde. Danach sollten Geldtransfers erst ab einem bestimmten Umfang zum Anfangsverdacht ausreichen. Die Beschwerdeführer, insbesondere der Steueramtmann G, wandten sich massiv gegen diese behördeninterne Anweisung. In der Folgezeit wurden die Beschwerdeführer aus dem Bereich der Steuerfahndung in andere Arbeitsbereiche umgesetzt. Nach eigener Einschätzung wurden sie dann mit nicht mehr amtsangemessenen Tätigkeiten beschäftigt.
Es folgt dann die ausführliche Darlegung der jeweiligen Leidensgeschichte der vier Steuerfahnder, die im wesentlichen parallel verlaufen sind. Das Gericht kommt zu folgendem Ergebnis:127. Bei den drei Gutachten des Beschuldigten, in welchen eine paranoide (wahnhafte) Entwicklung bzw. - bei R - von „partiell paranoiden Symptomen“ diagnostiziert wird, hat der Beschuldigte nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen den Grundsatz verletzt, dass ein Gutachter - insbesondere bei einer einmaligen kurzen Begegnung - immer in Erwägung ziehen muss, dass die Angaben des Probanden auch der Realität entsprechen können. Auch bei den wunderlichsten Behauptungen hat nach überzeugender Darlegung des Sachverständigen der zur Neutralität verpflichte Gutachter die Angaben als eine auch mögliche Realität zumindest in Erwägung zu ziehen. Dies hat unbedingt im Gutachten zum Ausdruck zu kommen. Eine entsprechende Erwägung findet sich in den Gutachten des Beschuldigten nicht, so dass davon auszugehen ist, dass er die ihm obliegende Neutralitätspflicht verletzt hat.
...
145. Nach alledem steht fest, dass auch im Falle U das Gutachten an fachlichen Mängeln leidet, die dazu führen, dass die darin getroffene Feststellung dauernder Dienstunfähigkeit und Teildienstunfähigkeit sich fachlich und logisch aus seinem Inhalt nicht erschließt.
146. Die Verletzung des fachlichen Standards bei der Erstellung der „Nervenfachärztlichen Gutachten“ des Beschuldigten erfolgte nach Überzeugung des Gerichts auch vorsätzlich.
147. Der Beschuldigt ist ausweislich seines
beruflichen Werdegangs und des von ihm in der Hauptverhandlung
dargelegten fachlichen Kenntnisstandes über die vom Sachverständigen
darlegten gegenwärtigen Standards im gegenwärtigen psychiatrischen
Fachbereich für Begutachtungen informiert. Sein diesbezüglicher
Kenntnisstand betreffend die psychiatrische Praxis und Literatur ist in
der Hauptverhandlung deutlich zu Tage getreten.
148. Rechtfertigungs-
oder Entschuldigungsgründe liegen nicht vor. Der Frage, ob es im Rahmen
seiner langjährigen gutachterlichen Tätigkeit als externer Gutachter
für das Hessische Amt für Versorgung und Soziales in A-Stadt zu
„Gepflogenheiten“ gekommen sein könnte, deren er meinte, nachkommen zu
sollen, brauchte im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht weiter
nachgegangen zu werden.
Zum Einen liegen dafür nach dem Ergebnis der
Hauptverhandlung keine Anhaltspunkte vor, zum Anderen gilt die
Berufspflicht eines Arztes aus § 25 Satz 1 der Berufsordnung für die
Ärztinnen und Ärzte in Hessen uneingeschränkt. Demzufolge ist bei der
Ausstellung ärztlicher Gutachten vom Arzt mit der notwendigen Sorgfalt
zu verfahren, was die Anwendung des jeweiligen Erkenntnisstandes seines
Fachgebietes impliziert, und der Arzt hat nach bestem Wissen seine
ärztliche Überzeugung auszusprechen. Nach dem eindeutigen Wortlaut der
berufsrechtlichen Regelung sind damit Vorgaben oder tatsächliche oder
vermeintliche Erwartungshandlungen eines Dritten, wozu einerseits die
Patienten selbst, andererseits auch die Auftraggeber zählen, vom Arzt
bei Erstellung seines Gutachtens unberücksichtigt zu lassen.
...
Vollständiger Text (Quelle):
Amtliches Webportal Hessenrecht
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