"Für die unter Euch auf dem Weg zur Kirche heute morgen..."
Für die unter Euch auf dem Weg zur Kirche - diese Zeilen von Michael Moore .
Freunde,
ich würde mich gerne mal mit denjenigen von Euch unterhalten, die sich selbst Christen nennen (Muslime, Juden, Buddhisten, Bill Maheristen usw., lest bitte auch weiter, denn ich bin sicher, dass das, was ich zum Ausdruck bringen möchte, auch für Eure ethischen / religiösen Werte relevant ist).
In meinem neuen Film spreche ich zum ersten Mal in einem meiner Werke über meinen eigenen religiösen Glauben. Ich habe immer gedacht, dass die eigenen religiösen Überzeugungen sehr persönlicher Natur sind, und sie deshalb Privatangelegenheit bleiben sollten. Schließlich haben wir oft genug in den letzten drei Jahrzehnten gesagt bekommen, wie wir uns "benehmen" sollten, und ich habe wirklich die Nase voll von falscher Frömmigkeit und Plattitüden, die uns als gewalttätige Nation betrachten, die andere Staaten überfällt und sich selbst dafür bestraft, dass sie auch noch die Dreistigkeit besitzt, auf harte Zeiten zu stoßen.
Ich bin auch gegen jedes Missionieren; bestimmt möchte ich nicht, dass Ihr irgendwo mitmacht, nur weil ich dort dazugehöre. Auch habe ich als Katholik viel über die Kirche als Institution mitzuteilen, aber das will ich ein ander Mal (oder in einem anderen Film) tun.
Den Bösewichten der Wall Street und bestechlichen Mitgliedern des [U.S.] Kongresses, die ich in "Kapitalismus - eine Liebesgeschichte" [engl. "capitalism - a love story"] anprangere, stelle ich im Film nur eine einfache Frage: "Ist Kapitalismus eine Sünde?" und frage weiter, "Wäre Jesus ein Kapitalist?" Wäre er bei einem Hedge Fonds? Würde er Leerverkäufe tätigen? Würde er ein System befürworten, dass es den 1% Reichsten erlaubt, mehr finanziellen Reichtum aufzuhäufen, als alle übrigen 95 % unter ihnen zusammen?
Ich kann mir nicht helfen, aber ich glaube, man kommt nicht darum herum, dass der Kapitalismus allem entgegengesetzt ist, was Jesus (und Moses und Mohammed und Buddha) je gelehrt haben. Alle großen Weltreligionen drücken sich in einem Punkt völlig klar aus: Es ist böse, den Löwenanteil des Kuchens für sich zu nehmen, und den Kampf um die verbliebenen Krümel allen anderen zu überlassen. Jesus sagte, dass es für den Reichen sehr schwer sein werde, in den Himmel zu gelangen. Er sagte uns weiter, dass wir einander wie Brüder und Schwestern sein sollten und dass vorhandene Reichtümer gerecht zu teilen seien. Er sagte, wer sich weigert, den Obdachlosen und Hungrigen Gastfreundschaft zu gewähren, dem würde es schwer fallen, den PIN-Code für die Himmelspforten ausfindig zu machen.
Ich glaube, dass sind schlechte Nachrichten für uns Amerikaner. Denn so definieren wir "Seelig sind die Armen": Wir haben jetzt die höchste Arbeitslosigkeit seit 1953. Alle 7.5 Sekunden gibt es eine Zwangsvollstreckung [verliert jemand sein Haus]. Jeden Tag verlieren 14000 Menschen ihre Krankenversicherung.
Während all dies passiert, häufen die Wall Street Bankers ("Gesegnet seien die Reichen") mehr und mehr Beute auf - und bemühen sich, möglichst wenig oder gar keine Steuern zu bezahlen (letztes Jahr war die Steuerquote von Goldman Sachs gerade mal 1%). Ob Jesus das gut fände? Falls nicht, warum gestatten wir die Fortsetzung eines derart bösen Systems? Also scheint es unmöglich zu sein, sich selbst gleichzeitig als "Kapitalisten" und "Christen" zu bezeichnen - weil es nicht möglich ist, sein Geld und seinen Nächsten zu lieben, wenn man es gleichzeitig seinem Nächsten verwehrt, einen Arzt aufsuchen zu können - nur um selbst besser dazustehen. Das nennt sich "unmoralisch" und es ist eine Sünde, auf Kosten anderer so zu profitieren.
Wenn Ihr heute morgen in der Kirche seid, denkt bitte daran. Ich bitte Euch, lasst Eure "besseren Engel" hervortreten. Und wenn Ihr unter den Millionen von Amerikanern seid, die Woche für Woche ums Überleben kämpfen, seid gewiss, dass ich Euch verspreche, alles zu tun um diese Gemeinheiten zu stoppen - und ich vertraue darauf, dass Ihr mir alle helft und solange nicht aufgebt, bis jeder einen Platz an der Tafel gefunden hat.
Vielen Dank fürs Zuhören. Ich werde bald zur Messe gehen. Ich werde ganz bestimmt den Pfarrer fragen, ob er glaubt, dass J.C. mit Derivaten oder Credit Default Swaps [CDS] handelte. Ehrlich, ich denke, er muss doch gut in Mathe gewesen sein. Wie hätte er sonst zwei Laib Brot und fünf Fische gleich auf 5000 Menschen verteilen können? Entweder war er der erste Sozialist, oder seine Jünger konnten wirklich keine Lunchpakete packen. Oder beides.
Der amerikanische Originalartikel findet sich bei
michaelmoore.com
. Übersetzt mit freundlicher Genehmigung.
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