Auf dem Weg in die Medien-Ochlokratie
Hinausgepöbelt: Christian Wulff
Man mag Christian Wulff mögen oder nicht, Tatsache ist, dass er am 24.8.2011 in Lindau eine gegenüber der globalen Finanzindustrie und ihren dahinterstehenden Superreichen äußerst kritische Rede gehalten hat. Sicherlich war er auch dem Finanzindustrie-nützigen multimilliardenschweren Europäischen "Rettungsschirm" ESM gegenüber, über den das Bundesverfassungsgericht noch nicht endgültig entschieden hat, kritisch eingestellt. Kurz vor seinem schließlich durch BILD & Co erzwungenen Rücktritt berichtete noch Telepolis darüber, ob die Abmeierung Wulffs vielleicht ganz andere Hintergründe haben könnte. Das war ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Die niveaulose BILD schafft es tatsächlich, einen gewählten Bundespräsidenten aus dem Amt zu schießen, der bis heute jedenfalls wegen keiner Straftat verurteilt wurde. Installiert wurde statt Wulff ein Bundespräsident, der die ESM-Verträge eilfertig unterschreiben wollte und den man wohl mit Fug und Recht als calvinistischen Ideologen, als Kandidat der Finanzindustrie betrachten kann.
Ist Rainer Brüderle der nächste, der weggepöbelt werden soll?
Man mag auch Rainer Brüderle mögen oder nicht, Tatsache ist, dass auch er, und zwar am 14.6.2012, eine gegenüber der globalen Finanzindustrie bemerkenswerte, äußerst kritische Rede gehalten hat, über die Systemmedien kaum berichtet haben, und auf die enge Verbindung von Spitzengrünen und der globalen Hochfinanz (etwa Joschka Fischer) hingewiesen hat, auch die jüngste Teilnahme des Spitzen-Grünen Trittins am Treffen der Bilderberger hat er thematisiert.
Brüderle hatte als Wirtschaftsminister zuvor diese Kreise schon länger geärgert, er wollte, ganz im Sinne von Walter Euckens Interdependenz der Ordnungen, also des Phänomens des Einflusses der Wirtschaftsmacht auf die Politik, dessen Begrenzung durch die Zerschlagung zu mächtiger Akteure mittels einer Reform des Kartellrechts erreichen. Diese volkswirtschaftlich dringend gebotene Maßnahme konnte die Finanzlobby offenbar innerhalb der schwarz-gelben Koalition unsäglicherweise verhindern.
Nach den Presseberichten zu urteilen muß die "charmante Begleitung" Brüderles durch die STERN "politische Journalistin" Frau Himmelreich bald nach seiner Rede begonnen haben. Auf der Zunge zergehen lassen muss man sich das zum Skandal heraufgepöbelte - heraufgeschriene - Ereignis, das lt. FAZ so ablief: Zunächst hat nicht Brüderle Frau Himmelreich, sondern umgekehrt sie ihn vor einem Jahr in einer Hotelbar um Mitternacht angemacht. Nicht wörtlich, aber sinngemäß kann man ihre dortige Frage ja dahingehend verstehen, was das denn solle, dass ein alter Sack denn noch eine solche politische Aufgabe, nämlich die des FPD-Spitzenkandidaten bei der nächsten Bundestagswahl übernehmen wolle. In Anbetracht dieser Ansage hat Brüderle - wohlgemerkt im halbprivaten Umfeld einer mitternächtlichen Hotelbar - mit einem "Gegenangriff" psychologisch völlig verständlich reagiert. Daraus "Sexismus" zu machen ist einfach lächerlich hoch zehn. Sexismus bedarf nämlich eines entscheidenden Faktors, der zwischen Brüderle und Himmelreich völlig fehlt: Ein durch Macht bestimmtes Abhängigkeitsverhältnis, wie es etwa zwischen Chef und Untergebenem in einer Firma oder zwischen Professor/in und Student/in besteht, und dessen Mißbrauch. Das gibt es in Deutschland in der Tat, aber was bitte hat Brüderle vs. Himmelreich damit zu tun? In Anbetracht der Pöbelmacht des STERN ist das Machtverhältnis wohl eher so, dass Brüderle als Politiker von der Berichterstattung auch des STERN abhängig ist. Kein Zufall ist es wohl auch, dass der Verlagskonzern des STERN, die zur Bertelsmann AG gehörende Gruner + Jahr Gruppe, gerade seine letzte investigativ-intellektuelle Zeitung, die Financial Times Deutschland, Hals über Kopf eingestellt hat, die regelmäßig jedenfalls auch kritisch über die Finanzindustrie berichtete.
Mit STERN, BILD und RTL in die Ochlokratie
Mit dem eifrig über das RTL Dschungelcamp auf niedrigstem Niveau berichtenden STERN sowie BILD befinden wir uns also geradewegs auf dem Weg in die Ochlokratie, einer Pöbelherrschaft freilich, in der die einflußreichsten Verlagskonzerne im Hintergrund bestimmen, wer in der Politik noch etwas zu sagen hat. Denn auch diese wären von der Zerschlagung durch Brüderles modernes Kartellrecht betroffen, wenn Brüderle als erfolgreicher Spitzenkandidat der FDP in Zukunft nochmal etwas mehr in der Politik zu sagen hätte.
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