Aus dem Gleichgewicht
Unkontrollierte Macht als tiefere Ursache der Krise
Walter Eucken hat schon in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die Interdependenz der Ordnungen beschrieben: Politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Macht sind miteinander eng verflochten. Deshalb reicht es eben nicht aus, zur Schaffung demokratischer Verhältnisse mit fairen Chancen für alle Gewaltenteilung auf der Ebene der Staatsverfassung zu realisieren, wie es dem Grundgesetz ursprünglich in einzigartig vorbildlicher Weise gelungen ist. Vielmehr muss sich das Bestreben der Politik dahin richten, durch entsprechende Gesetzgebung ein Gleichgewicht zu schaffen, das verhindert, dass sich zu große, unkontrollierte Machtkonzentrationen überhaupt bilden. In den vergangenen Jahren war oft das genaue Gegenteil der Fall, wie wir an einer Reihe von Beispielen zeigen werden. Das Problem dabei: Unermessliche Gier nach Macht und Geld liegt in der menschlichen Natur, nur Ausnahmemenschen widerstehen einer hinreichend grossen Versuchung. Werden daher Rahmenbedingungen geschaffen, die es einzelnen gestatten, ihre Gier über Gebühr auszuleben, dann passiert auch genau das.
Die Figuren sind austauschbar - der Rahmen macht es
Die öffentliche Diskussion über die Zumwinkels, Acker- und Obermänner oder Mehdörner dieser Republik greift deshalb ein Stück zu kurz. Zwar ist die moralische Empörung über ihr egozentrisches Verhalten völlig gerechtfertigt. Allerdings wird dabei übersehen, dass sie ein Produkt der freilich mit von ihnen selbst geschaffenen Strukturen sind, die aufgrund der Machtfülle, die ihnen ihre Funktionen bescheren bzw. beschert haben, als Individuen fast zwangsläufig von der Macht korrumpiert werden. Eine kluge Politik muss daher verhindern, dass einzelne Menschen überhaupt mit einer solchen, vor allem: unkontrollierten Machtfülle ausgestattet werden. Sie muss daher auch in der Wirtschaft dafür sorgen, dass riesige, unkontrollierte Blöcke wirtschaftlicher Macht erst gar nicht entstehen - und schon gar nicht auf internationaler Ebene sich erst recht jeder Kontrolle entziehen. Dies ist um so wichtiger, als ja die mit solcher Machtfülle ausgestatteten Menschen in der Lage sind, ihrerseits die politische Willensbildung massiv zu beeinflussen - bis hin zur Manipulation der Massenmedien, z.B. als deren Eigentümer, was weiteren Machtmissbrauch fördert.
Fehlversuche
Die Ironie dabei ist, dass viele politische Ansätze ursprünglich genau mit dem Ziel verfolgt wurden, dieses mehr an Kontrolle durch Verteilung von Macht zu erreichen, aber in der Praxis in das Gegenteil mutiert sind.
Die Privatisierung von Post und Telekom sowie die Scheinprivatisierung der Bahn
Die Privatisierungsbewegung war ursprünglich ebenfalls von dem Motiv getragen, Machtmißbrauch, in diesem Fall durch öffentliche Bedienstete und ihre einstmals sehr mächtigen Gewerkschaften, zu verhindern und durch Wettbewerb zu disziplinieren. Eine große Mehrheit hatte die Schnauze voll von der Bevormundung durch das Monopol der Deutschen Bundespost, eine Machtfülle, die in einer Art Duopol von Amtsleitung und Postgewerkschaft ausgeübt wurde, sonst wären keine Mehrheiten für die damaligen Grundgesetzänderungen zustande gekommen. Man glaubte, durch die Privatisierung werde der Markt die Kontrolle bzw. Zerschlagung der aufgrund des Monopols der Daseinsfürsorge bestehenden Machtkonzentration schon richten. Weil allerdings von vorne herein klar war, dass dies schwierig werden würde, wurde auch zusätzlich eine Marktregulierung eingerichtet. Ansonsten aber sollten die Manager es richten, weil die ja etwas von Wirtschaft verstünden.
In der Praxis bedeutete das jedoch zugleich, dass die aktienrechtlich und faktisch ja durchaus weiterhin bestehende Kontrolle des Bundes über riesige Vermögenswerte und damit Machtkonzentrationen nicht mehr öffentlich von den Volksvertretern im Deutschen Bundestag, sondern der im Bundesministerium der Finanzen angesiedelten Beteiligungsverwaltung des Bundes, sprich durch weitgehend unkontrollierte Ministerialbeamte im Hinterzimmer wahrgenommen wurde. Denn dieser Verzicht an Kontrolle war ja gerade politisch gewollt, die Unternehmen über das Aktienrecht vom Bundestag abgeschirmt. Somit wurde der ideale Selbstbedienungsladen für ein "Management" geschaffen, das lediglich bemüht sein mußte, seine kastrierten "Kontrolleure" nicht direkt zu verärgern, sondern bei Laune zu halten und ansonsten bis zum heutigen Tage weitgehend unbeaufsichtigt rücksichtslos zum höchstpersönlichen Vorteil agieren konnte.
Die eigentlich beabsichtigte Disziplinierung dieser Machtfülle durch die Kräfte des Marktes hat jedoch nie wirklich stattgefunden - die Machtkonzentration blieb dafür viel zu gross und verführte damit wiederum ministeriale Kontrolleure und Finanzminister zu ihrem Missbrauch, wie alle Jahre wieder die plünderischen Dividendenzahlen bei Post und Telekom, die ein Vielfaches der jeweiligen Konzernüberschüsse betragen und somit in allerbester Heuschreckenmanier aus der Substanz bezahlt werden müssen. Noch deutlicher kann man die Selbstkastration der Volksvertreter bei der Bahn beobachten, die, obwohl ja noch 100% im Eigentum des Bundes, das Management noch nicht einmal mehr richtig vorladen können, weil sie sich der Instrumente entweder dafür selbst beraubt haben, oder aber - wie etwa das Instrument des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, als der sich der Verkehrsausschuss jederzeit konstituieren könnte - erst gar nicht nutzen.
Die öffentlichen Banken und die IKB
Spiegelbildlich war die Situation im Bereich der öffentlichen Banken und der teilstaatlichen IKB. Auch hier gab es faktisch keine oder eine sehr eingeschränkte öffentliche Kontrolle. Der Fall der IKB wurde in diesem Blog ausführlich behandelt. Der Nestor des deutschen Aktienrechts, Prof. Lutter von der Universität Bonn, spricht von Untreue in unvorstellbarem Ausmass, während die Staatsanwaltschaft Düsseldorf bisher untätig bleibt.
Machtkonzentrationen in privater Hand sind auch nicht besser
Nun könnten die hier beschriebenen Szenarien zu dem Fehlschluss verleiten, die Mißstände seien ausschließlich der Tatsache des Staatseigentums geschuldet. Tatsächlich ist es jedoch so, dass Machtpositionen von Menschen mißbraucht werden. Es spielt gar keine entscheidende Rolle, ob dies im Namen des Staates, oder bei der Verwaltung privaten Vermögens passiert. Im Gegenteil: Beim Staat sind Möglichkeiten der Kontrolle im Prinzip vorhanden, die jedoch nicht genutzt wurden. Entscheidend ist die Kontrolle und der gezielte Abbau übergroßer, unkontrollierter Machtkonzentrationen als solche. Die Fülle von Skandalen, die seit Jahren unsere private Wirtschaft erschüttert, ist auch hier kein Zufall, sondern der Größe der Konzerne geschuldet. Dazu mehr im Teil II.
Weiter zu Teil II, allerdings wurde der ursprünglich geplante Inhalt aus aktuellem Anlaß modifiziert.
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