Das Ende der Post?
Der Gesetzgeber hat sich 1994 kaum Gedanken über die Zukunft der Infrastruktur gemacht - sie war ja auch noch da!
Wie man der Lektüre des Plenarprotokoll der 237. Sitzung des 12. Deutschen Bundestag vom 29. Juni 1994 ab Seite 20804 entnehmen kann, findet sich nichts in den Reden der Befürworter der damals in der Postreform II mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP, der Mehrheit der SPD sowie Teilen der GRÜNEN beschlossenen Privatisierung von Post, Telekom und Postbank, noch im Gesetzentwurf selbst. Es fehlt eine substantielle Aussage darüber, wie die flächendeckende Versorgung in privatwirtschaftlicher Form auch auf dem Lande dauerhaft aufrecht erhalten werden kann. Es gibt sie lediglich als abstrakte Verpflichtung des Staates im damals neu eingeführten Artikel 87f des Grundgesetzes.
Wir brauchen eine Postreform II, um der zunehmenden Dynamik des Kommunikationsmarktes, der wachsenden Internationalisierung im Kommunikationssektor, dem zunehmenden faktischen Wettbewerb, der fortschreitendeen Liberalisierung auf europäischer Ebene und durch das GATT gerecht werden zu können.Dem ist nichts hinzuzufügen - Ich habe jetzt für diejenigen bei Ihnen, die vielleicht zweifeln, extra mit einem SPD-Papier argumentiert,...
Einseitige Politik der Finanzinteressen durchgesetzt über supranationale Organisationen
Im Lichte der Debatte über das Verfassungsgerichtsurteil zum EU Vertrag von Lissabon und der Ausführungen von Prof. Dr. Schachtschneider in den Zürcher Zeitfragen zu den Themen Bürgerrechte und Supranationale Organisationen ist es hochinteressant, dass hier schon 1994(!) als Hauptargument die Bestrebungen der beiden supranationalen Organisationen EU und GATT genannt werden, die aber ja ihrerseits schon damals inhaltlich nur von den Regierenden in GATT und EU selbst als deren Mitglieder vorangetrieben werden konnten, ohne Beteiligung der Parlamente. Eine breite Debatte über die Richtigkeit der Inhalte gab es nie.
Neben Gregor Gysi, dessen Argumente wegen seiner frischen DDR-Historie kein Gehör fanden, die ihm prompt Peter Glotz aufs Butterbrot schmierte, brachte es als einziger der Abgeordnete Ulrich Briefs auf den Punkt, der als fraktionsloser freilich auch inhaltlich komplett ignoriert wurde:
Die geplante Postreform II, also die Privatisierung, wird zudem wie in anderen Ländern zur Vernachlässigung des Infrastruktur und des post- und kommunikationstechnischen Versorgungsauftrags der früheren Post führen. Die leidtragenden werden die Menschen fern der Ballungsgebiete sein... sie ist auch ein weiterer Schritt zur Spaltung der Gesellschaft...Nicht vorhandenes DSL in vernünftiger Geschwindigkeit, weder durch die Telekom noch dank fehlender Investitionssicherheit durch alternative Wettbewerber sind auf dem Land Realität, genau wie endlose Debatten über Investitionskosten für neue Infrastruktur statt Investitionen überhaupt. Genauso die Briefe und Pakete, die die Landbevölkerung nur noch zwischen Butter und Gemüse und natürlich ganz ohne hoheitlich verbriefte Verschwiegenheit aufgeben kann. Und demnächst auch die Stadtbevölkerung ihre vertraulichen Briefe nur noch unter den Augen der Deutschen Bank AG abgeben kann. Diese sitzt über ihre, jüngst durch das Bundesministerium der Finanzen in einem dubiosen Deal eingefädelten, Beteiligung an der Postbank bereits in etlichen der noch als Postämter wahrgenommenen Filialen, die jedoch zur Postbank gehören, mit am Tisch. Die noch in der Bundestagsdebatte von allen Parteien als unverzichtbar angesehene Verflechtung von Postbank und Post zur Erhaltung des flächendeckenden, versorgungsrelevanten Filialnetzes wurde schlicht in vermeintlich rein kapitalistischer Logik ignoriert.
...Die aktuellen, Demokratie-gefährdenden Spitzelskandale wurden also von Briefs präzise vorhergesagt, sie sind zwar auch individuelles Versagen, aber im Grunde systembedingt, in dem Strukturen geschaffen wurden, die zwangsläufig zum Machtmißbrauch einladen.
Mit der Privatisierung werden wichtige Kontrollmöglichkeiten in bezug auf die Einhaltung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch die Postunternehmen aufgegeben.
Und nun?
Die Politik hat einstmals teils im Kundeninteresse und Allgemeinwohl zu Recht als ineffizient angesehene Strukturen der Deutschen Bundespost durch von ausschließlichem Profitinteresse von Topmanagern und "Investoren" im Sinne von Kundeninteresse und Allgemeinwohl gleichermassen ineffiziente private, monopolähnliche Strukturen ersetzt. Sie hat den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Diese dienen nur noch individueller Selbstbereicherung und der Ausplünderung der Allgemeinheit. Das kann so nicht bleiben. Der nächste Bundestag wird handeln müssen, soll eine Postversorgung für jedermann sichergestellt bleiben.Und konsequenterweise muss auch die ideologische Politik von EU und GATT bzw. WTO, die dies so ermöglicht, geändert werden. Übrigens: Weder die Franzosen, noch die USA(!) haben ihre Post je privatisiert.
Links:
Fokus: Schließung aller Filialen bis 2011
Kommentar Hamburger Abendblatt
In diesem Blog zur Praxis des "Telekommunikations-Nachtwächterstaates"
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