Der gemeine Deutsche unter Generalverdacht

Nicht genug, dass jeder, der einen Deutschen Reisepaß haben möchte bzw. muss, ab sofort mit Fingerabdruck erkennungsdienstlich behandelt wird, und seine persönlichen Daten per RFID-Chip als Einladung an fremdstaatliche und private Identitätsdiebe in alle Welt ausgesandt werden. Der Bundestag soll am 9.11. einer totalen sechsmonatigen Speicherung der Kommunikationsdaten der Gesamtbevölkerung (wer hat wann mit wem wo telefoniert, gemailt, usw.) zustimmen. Zusätzlich kann künftig auch das vertrauliche Anwalts- oder Arztgespräch staatlich abgehört werden.

Er ist schon heftig, dieser Generalangriff auf die Privatsphäre der Bürger und die Grundfesten der Demokratie, der auch noch die vorgegebenen Ziele der Terrorismusbekämpfung technisch verfehlt. Sie - die Bürger - werden alle unter Generalverdacht gestellt. Ausgerecht von einem Innenminister, der in der selbstherrlichen Tradition seines Vorgängers in völligem Realitätsverlust entscheidende praktische Schritte gegen den Terrorismus nicht auf die Reihe bekommt: Der Digitale Polizeifunk könnte nachweislich bereits mit einem überlegenen technischen Konzept, in der Beschaffung garantiert korruptionsfrei und mit einer Ersparnis gegenüber dem jetzt beauftragten System von mindestens einer Milliarde Euro, seit 2006 flächendeckend funktionieren. Laut Zeitungsberichten wird dies nun aufgrund des segensreichen Wirkens von Schilys Otto und Schäubles Wolfgang erst 2013 der Fall sein - und damit das jetzt neu eingeführte digitale System garantiert ebenfalls wie das jetzt noch verwendete jahrzehntealte analoge endgültig veraltet sein. Die neuen Lieferanten EADS und Siemens sind hingegen dafür bekannt geworden, in Berlin rauschende Regierungsparties für Politik und Ministeriale zu sponsorn.

Aber statt sich darum zu kümmern, will der Herr Minister Arm in Arm mit seiner Justizkollegin jeden Bürger rund um die Uhr überwachen:

Wer telefoniert wann, wo mit wem, wer schickt wann wem eine Email, usw. Ein unglaubliches Ansinnen, denn diese Überwachung wird nicht auf konkrete terroristische Verdachtsfälle beschränkt, geschweige denn richterlich angeordnet, nein, vorsorglich werden wir, also alle, Bürger, pauschal mal eben so überwacht.

Allein das wäre schon schlimm genug. Die Tatsache jedoch, dass so wenig vertrauenserweckende Firmen wie halbstaatliche Telekommunikationsunternehmen für sechs Monate Herr über intime Verbindungsdaten aller Bürger werden, ist eine Horrorvorstellung. Glaubt jemand, dass, wer bei Bilanzen hemmungslos darstellt, wie es beliebt, beim Datengeheimnis anders verfährt? Und was geht es den Staat oder die Deutsche Telekom an, wann Herr Müller mit Frau Maier telefoniert oder mailt? Dieses Gesetz gehört in den Mülleimer - samt EU-Richtlinie - und selbst, ob das Zustandekommen dieser EU Richtline, die hier angeblich umgesetzt werden muss, mangels EU-Zuständigkeit überhaupt rechtens ist, haben bereits einige EU-Staaten beim Europäischen Gerichtshof massiv in Zweifel gezogen, Irland hat Klage eingereicht. Es ist aber letztlich auch egal. Die EU hat kein Recht, elementare Bürgerrechte gegen das Grundgesetz "außer Betrieb" zu setzen.

Schließlich sind für die echten Terroristen jegliche Vorratsdatenspeicherungsmaßnahmen in Deutschland/der EU ganz leicht zu umgehen: Mit ein paar Mausklicks ist das Mailkonto z.B. in Übersee, China, Vietnam oder Rußland ebenso wie die VOIP-Telefonie oder mit etwas mehr Aufwand auf einem privaten eigenen Mail- und/oder VOIP-Telefonserver, der irgendwo steht, eingerichtet. Im Klartext: Vor allem kleine und mittelständische deutsche/EU-Internet-Provider, die im globalen Wettbewerb stehen, werden mit den Kosten der wahnwitzigen Datenspeicherung unsinnigerweise belastet, während die Terroristen preiswert und "sicher" auf ausländischen oder privaten Rechnern irgendwo hosten, mailen und telefonieren.

Es drängt sich vielmehr ein Verdacht auf: Wird der Terrorismus vorgeschoben, um Staatskriminalität zu decken? Denn wer informiert noch Journalisten über Korruption und andere Mißstände im staatlichen Bereich, wenn er die Aufdeckung seiner Kommunikationsdaten fürchten muß? Warum hat - ironischerweise - ausgerechnet ein Kriminalbeamter bei der Anhörung zum Gesetzgebungsverfahren kritisiert, dass gerade der Tatbestand der Vorteilsnahme (sprich: illegale Geschenke an Beamte und Minister für günstige Entscheidungen) nicht als Delikt gilt, bei dem polizeilich abgehört werden darf? Ein Schelm, wer Schlimmes dabei denkt. Und warum verweigert ausgerechnet Otto Schily, Bundesinnenminister a.D., als neuerdings offenlegungspflichtiger Bundestagsabgeordneter Informationen zu seinen Geschäftsbeziehungen zur Firma Siemens AG (Honorar lt. BILD 140.000 €), Auftragnehmer des digitalen Polizeifunks?

Oder ist es der Lobbyismus der großen Provider, die über die Datenspeicherungskosten die kleinen kaputt machen wollen?

Anstatt solcher Gesetze und Minister und Exminister brauchen wir künftig vorrangig endlich die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften von Weisungen der Politik, wie sie vom Deutschen Richterbund schon lange gefordert wird. Hier hat sich bisher weder Frau Zypries noch Herr Dr. Schäuble hervorgetan.

Das traurige persönliche Schicksal von Wolfgang Schäuble darf nicht dazu führen, dass jeder Unfug mitgemacht wird. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Vorhaben als klar grundgesetzwidrig einzustufen:


[update 7.11.2007] Weitere Links:
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
Entwurf der Verfassungsbeschwerde des Arbeitskreises

[update 9.11.2007] Der Deutsche Bundestag hat dem Gesetzentwurf mit letzten Änderungen zugestimmt.

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