Der Karlsruhe-Lissabon-Berlin-Trick

"Verfassungsrechtlicher Quellcode" doch nicht "gehackt". Das Jein des BVerfG zum EU Vertrag: Eine einerseits verfassungspolitisch sehr kluge Entscheidung, weil sie den Gesetzesmüll dorthin zurückverweist, wo er hingehört, statt sich selbst mit der Entsorgung zu belasten. Andererseits aber auch nicht ohne Risiken für den Fortbestand der Demokratie.

Wie berichtet, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe den EU-Vertrag von Lissabon zwar gebilligt, aber mit einem innerstaatlichen Korsett und einer kristallklaren Analyse der Probleme unserer Demokratie im Verhältnis zur EU versehen. Unsere Befürchtungen, es könnte sich aus seiner Wächterrolle verabschieden, sind damit - Gott sei Dank - nicht eingetroffen - jedoch gibt es weiter erhebliche Risiken für die Demokratie. Wie kann das Gericht nun das Kunststück fertigbringen, den Vertrag zu billigen, aber gleichzeitig die Demokratie vor Ort in Deutschland - wie dringend erforderlich - zu stärken?

Europäischer Bundesstaat oder Europäischer Staatenbund

Nun, die politischen Befürworter des EU-Vertrages von Lissabon wollten ursprünglich mit fast inhaltsgleichen Regelungen einen Europäischen Bundesstaat, die Europäische Verfassung, verabschieden. Wegen des Verfassungsranges dieses Vertragswerks fanden in den Niederlanden und Frankreich - freilich nicht in Deutschland - Volksabstimmungen statt, die dieses gleichermassen Demokratieprinzip und Gewaltenteilung vermissen lassende Werk im Ergebnis durch das dort ausgesprochene klare Nein scheitern liessen, denn alle EU-Völker hätten dem zustimmen müssen.

Deshalb verfiel die EU-Nomenklatura auf den Trick, den Vertrag von Lissabon formal als gewöhnlichen völkerrechtlichen Vertrag, also nicht als Verfassung, auszugestalten. So sollte das formale Hindernis eines europäischen Verfassungsaktes bei gleichen Inhalten umgangen werden, der lästige Volkssouverän brauchte nicht mehr befragt zu werden. Wir gründen den feudalen Staat der EU-Nomenklatura, in dem die politische Klasse und vor allem dahinterstehende (Finanz-) Lobbies noch weitgehender unbehindert vom Volkssouverän schalten und walten können, und wo der plutokratische Fetisch der absoluten Freiheit des Kapitalverkehrs, ein EU-"Grundrecht", der unveräußerlichen Menschenwürde des Grundgesetzes (kein absolutes EU-Grundrecht) übergeordnet wird! Es ist nur der Wachsamkeit einiger weniger zu verdanken, dass dies durch die Teil-erfolgreichen Klagen in Karlsruhe beim BVerfG dieses Mal verhindert wurde.

Der Karlsruhe-Lissabon-Berlin-Trick

Nun, das Bundesverfassungsgericht hat in fast Eulenspiegel-artiger Manier die Vorgabe, dass es sich bei dem EU-Vertrag von Lissabon nicht um eine europäische Verfassung, sondern einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen den EU-Staaten handele, aufgegriffen. Es sagt, hey, wenn hier wirklich gar keine Europäische Verfassung beabsichtigt ist, dann müssen wir den Vertrag und seine Begleitgesetze nicht am Maßstab eines Europäischen Bundesstaates und den damit verbundenen verfassungsrechtlich zwingenden Vorgaben für Gewaltenteilung, Demokratieprinzip, unbeschränkbarer Geltung der Menschenwürde, Grundrechte und Volkssouveränität messen. Statt dessen müssen wir durch Auflagen sicherstellen, dass dann auch Demokratieprinzip, Gewaltenteilung und Grundrechtsschutz usw. tatsächlich auf nationaler Ebene der Bundesrepublik Deutschland durchgesetzt werden und stattfinden, d.h. Kompetenzen wirklich nur insoweit auf die EU übertragen werden, wie dies gerade noch mit diesen Prinzipien bei grundsätzlicher Europafreundlichkeit vereinbar ist. Die Musik muss - wieder - im Bundestag spielen! Deshalb wurde das Begleitgesetz zum Vertrag für verfassungswidrig erklärt, das diese Voraussetzungen ebenso wie die bisherige Bundestagspraxis des stumpfen nächtlichen Abnickens von EU-Rechtsakten im Bundestag nicht sicherstellte und die Ratifizierung des Vertrages solange ausgesetzt, bis das gewährleistet ist. Und wir wachen weiter darüber!

Eine sehr kluge Entscheidung, aber mit erheblichen Risiken

Das Bundesverfassungsgericht hat damit eine politisch sehr kluge Entscheidung getroffen. Denn es sorgt mit seinen Vorgaben dafür, dass der politische Müll wieder dort landet, wo er Kraft Grundgesetz auch entsorgt werden muss: Im deutschen Parlament, das sich das alles selbst eingebrockt hat, indem es verfassungsändernde (!) Verträge verabschiedete, die die allermeisten Abgeordneten nie gelesen, geschweige denn verstanden hatten. Das Gericht entspricht damit auch seiner Verpflichtung, die Entscheidungen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers - auch wenn es vor diesem in seiner konkreten Gestalt den Bürger zur Zeit nur noch graust - so schonend wie möglich zu korrigieren, wo es das Verfassungsrecht zwingend erfordert.

Das große Risiko, dass die klaren Vorgaben des Gerichts nun in der Praxis ausgehöhlt werden, und dann nicht korrigierbare völkervertragliche Verpflichtungen Deutschlands im Aussenverhältnis eingegangen werden, bleibt aber bestehen. Offen bleibt bisher auch das äußerst kritische Thema übergestülpter Gewährleistungsstaat via EU. Andererseits kann das Gericht nicht vollen Ersatz für eine inzwischen leider weit hinter der geistigen und moralischen Größe der Gründerväter der Republik zurückbleibenden politischen Klasse leisten; ihm bleibt nur die Rolle des verfassungsrechtlichen "Reparaturbetriebes" für das, wo das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Da müssen jetzt wieder die Bürger ran. Die einzigen etablierten Parteien, die dies begriffen haben, sind offenbar CSU und die LINKE. Jedenfalls die klassischen Volksparteien SPD und CDU haben sich von ihrem Status als Volksparteien verabschiedet, sonst hätten sie gemerkt, dass die Bürger kein zentral-fremdbestimmtes Europa wollen und dies auch respektiert. Vielleicht hilft die Entscheidung des Gerichts, dass sie sich wieder auf ihre Wurzeln besinnen. Im Moment sieht es jedoch gar nicht danach aus.


"Solange III"

Übrigens, anders als in der etablierten Presse dargestellt, bedeutet das Urteil des Gerichts nicht, dass ein Europäischer Bundesstaat unmöglich ist. Das Gericht sagt dazu in Anknüpfung an seine Solange-Rechtssprechung:

Solange und soweit das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung in einem Verbund souveräner Staaten mit ausgeprägten Zügen exekutiver und gouvernementaler Zusammenarbeit gewahrt bleibt, reicht grundsätzlich die über nationale Parlamente und Regierungen vermittelte Legitimation der Mitgliedstaaten aus, die ergänzt und abgestützt wird durch das unmittelbar gewählte Europäische Parlament (vgl.BVerfGE 89, 155 <184>).

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Tun wir etwas für ein friedliches Europa friedlich zusammenarbeitender freier Völker

Ein zentral-fremd bestimmtes Europa abzulehnen, wie von den führenden Befürwortern des Lissabon-Vertrages faktisch, vielleicht teils auch aus Unkenntnis, vorangetrieben, ist keine Frage eines neuen, rückwärtigen Nationalismus, wie dümmliche Äußerungen Glauben machen wollen. Im Gegenteil. Die Ablehnung unsinniger Fremdbestimmung durch Lobbyisten, Plutokraten, Bürokraten und Eurokraten ist allen Völkern Europas gemeinsam. Ein solches, falsch konzipiertes Europa, das die Probleme der Bürger mangels ausreichender Rückkopplung mit der Basis nicht mehr löst, sondern nur immer neue schafft, führt zwangsläufig zu einer Renaissance des Nationalismus. Tun wir etwas für ein friedliches Europa und eine europäische Einigung, die wirklich Kraft freier Selbstbestimmung und im Respekt gegenseitiger kultureller Vielfalt verwirklicht wird!

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