La Piovra (dt. die Krake) oder "Allein gegen die Mafia" [update]
Mobbing statt Beförderung
Es ist ein ungeheuerlicher Vorgang: Eine der laut zahlreichen Presseberichten erfolgreichsten Staatsanwältinnen in den intellektuell und beweismäßig äußerst schwierig zu bearbeitenden Fällen raffiniertester und mächtiger Wirtschafts- und Steuerbetrüger, Margrit Lichtinghagen, wird für ihre jahrzehntelange erfolgreiche Arbeit, die in der Anklage gegen Klaus Zumwinkel gipfelte, nicht etwa befördert. Dies würde ja dem normalen Leistungsprinzip entsprechen.
Statt dessen wurde eine ungeheuerliche Medienkampagne gegen sie eröffnet, während ihre Vorgesetzten ihren beruflichen Abschuß betrieben. Uns kommt das alles so seltsam vertraut vor...
So übernahmen zahllose Presseerzeugnisse ungeprüft eine Reihe von Behauptungen (z.B. RP Online) und sprachen statt vom Fall Zumwinkel plötzlich vom Fall Lichtinghagen - und veröffentlichten gleich noch ein miesepetriges Foto von Ministerpräsident Rüttgers, der angeblich "auch mit drin hinge":
- "Die Bochumer Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen, die durch die Ermittlungen gegen Ex-Postchef Klaus Zumwinkel bundesweit bekannt wurde, soll Millionenzahlungen an gemeinnützige Organisationen veranlasst haben"
- "In den umstrittenen Fall sind offenbar auch NRW-Politiker wie Jürgen Rüttgers oder Andreas Pinkwart verwickelt."
Subtiler Rufmord statt Belobigung
In übelster Art und Weise wird dem unbedarften Leser suggeriert, es seien unter Beteiligung der Landesregierung NRW durch Frau Lichtinghagen illegal Gelder in Millionenhöhe verschoben worden. Tatsächlich heißt es im Gesetz:
§ 153a Strafprozessordnung (StPO)
(1) 1Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. 2Als Auflagen oder Weisungen kommen insbesondere in Betracht,
- 1.
zur Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens eine bestimmte Leistung zu erbringen,- 2.
einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen,- 3.
sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen, ...
Wenn sich Margrit Lichtinghagen daher bei der Landesregierung erkundigt haben sollte, welche gemeinnützigen Organisationen in Frage kommen, so hat sie auch dann lediglich ihren gesetzlichen Auftrag erfüllt. Genauso ist es nicht zu beanstanden, wenn Minister der Landesregierung dazu Empfehlungen abgegeben haben sollten. Es war also absolut NICHTS an den Vorwürfen des offenkundig von irgend jemand lancierten Artikels dran. Schon eine einfache Recherche im Gesetz hätte genügt, um die Vorwürfe ad absurdum zu führen: Die Verteilung der Gelder - nach dem Ermessen der Staatsanwaltschaft und des Gerichtes - war ihr Job nach dem Gesetz! Statt dessen wurde eine bundesweite Pressekampagne inszeniert, die ihr Ziel vorerst erreicht hat:
Margrit Lichtinghagen wird die Anklage gegen Klaus Zumwinkel lt. FTD nicht mehr vertreten, sie wirft das Handtuch. Wie der WDR berichtet, wurde ohne ihr Wissen in ihrer Behörde dafür gesorgt, dass gegen die Nichtzulassung des vollen Klageumfangs durch das Gericht nicht nur kein Rechtsmittel eingelegt, sondern auch noch ausdrücklich darauf verzichtet wurde. Damit liegt die Anklage gegen Zumwinkel unter der Millionengrenze des BGH. Der BGH hatte kürzlich in einem Urteil festgelegt, dass bei Steuerhinterziehung von über einer Million Euro eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung in der Regel nicht möglich ist, das hätte also möglicherweise Haft für Klaus Zumwinkel bedeutet. Damit könnten sich Angehörige ihrer Behörde oder von außen Einfluß nehmende der Strafvereitelung (im Amt) nach den § § 258, 258a StGB strafbar gemacht haben.
Offenbar schlägt "La Piovra", die Krake, zu:
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wenn es um bestimmte Steuerhinterziehungsmodelle und Betroffene geht;
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wenn es um die Ursachen und Verursacher der Finanzkrise geht, jedenfalls, soweit sie in Deutschland zu finden sind;
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wenn es um das Gebaren des Bundesminsteriums der Finanzen geht, den ehemaligen Chefs von Klaus Zumwinkel, die bestimmten Kreisen der SPD ebenso zuzurechnen sind, wie jahrzehntelang auch das NRW Justizministerium und so die Besetzung der Spitzenpositionen der Staatsanwaltschaften sich in SPD-NRW-Hand befand;
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und ebenso, wenn es um die finanziellen Skandale bei der Deutschen Telekom AG oder der IKB geht, von denen erstere bekanntlich auch zu Klaus Zumwinkels Machtbereich gehörte. Auch dort nimmt man schon mal Kollateralschäden in Kauf, von der Spitzelaffaire (Beschuldigter auch hier: Klaus Zumwinkel) ganz zu schweigen.
Es bleibt zu hoffen, dass die neue Justizministerin des Landes Nordrhein-Westfalen, Roswitha Müller-Piepenkötter, weiterhin den Mut aufbringt, alles Krumme, was sich über Jahrzehnte angesammelt hat, wieder gerade zu rücken, und Frau Lichtinghagen am Ende des Tages den Posten zu geben, den sie als verdiente Ermittlerin verdient hat. Und vielleicht wäre es auch interessant, den Drahtzieher der Pressekampagne ausfindig zu machen. Denn auch die Süddeutsche hat einschlägig berichtet. Viel spricht dafür, dass der verdiente Journalist Hans Leyendecker dieses Mal einer gezielten Intrige aufgesessen ist. Er sollte lieber recherchieren, ob es einen Zusammenhang zwischen den mutmasslichen Steuerhinterziehungsmodellen Klaus Zumwinkels und der Tatsache gibt, dass der ausgerechnet vom Bundesfinanzminister Steinbrück noch in der Amtszeit Zumwinkels als Telekom-Aufsichtsratschef hineingebetene Telekom-Investor Blackstone (Berater: Ron Sommer) über zahlreiche Finanzvehikel im Steuerparadies Cayman Islands verfügt. In ihrer Funktion als Tax Haven unterscheiden sich die Cayman Islands kaum vom Fürstentum Liechtenstein, das schon mal von Steinbrück dafür öffentlich geschmäht wird.
[Update 7.3.2009] : Einer unserer Leser weist uns darauf hin, dass das Mobbing gegen Frau Lichtinghagen sich offenbar auch auf ihre Tochter erstreckte. Dies würde auch ihr Aufgeben erklären. Hierzu der uns bisher entgangene Bericht der Financial Times Deutschland vom 22. Dez. 2008: Justizposse - Widerliches aus Witten.
[Update 6.8.2009] Inhalt des neuerdings nicht mehr frei zugänglichen FTD-Artikels: Bei der Tochter von Frau Lichtinghagen wurde eingebrochen, ohne dass etwas gestohlen wurde, und es wurde versucht, sie mit Hilfe von Kommilitonen vom Campus wegzumobben. Zuständig für die Aufklärung des Einbruchs: Die Staatsanwaltschaft Bochum.
[Update 7.8.2009] Am 22.6.2009 schreibt Hans Leyendecker in der Süddeutschen, wenn auch widerwillig, dass es kein Ermittlungsverfahren gegen Margrit Lichtinghagen geben wird: "Ermittlerin Lichtinghagen entlastet."
[Update 19.8.2009] FTD: Keine Ermittlungen, Frau Lichtinghagen offiziell vollständig entlastet.
Siehe jedoch auch "Die Posse mit der Steuerfahndung"
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