Mit der Förderalismusreform ins digitale Desaster

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit wurde im Rahmen der Förderalismusreform II per Grundgesetzänderung der Weg ins digitale Desaster beschlossen. Der Bundesrat muss noch mit 2/3 Mehrheit zustimmen.

[Von Dr. rer. nat. Martin Weigele, Dipl.-Informatiker]

Über die Förderalismusreform II mit ihrer absurden Schuldenbremse per Gesetz bei gleichzeitigem Schuldenmachen in nie gekannter Höhe zur Absicherung privater Spekulationsverluste der Finanzindustrie wurde schon an anderer Stelle ausgiebig Klartext geschrieben. Es ist das Verdienst einer kleinen Partei, der thüringischen "Die Guten", dass auch ein anderer Aspekt nun ans Tageslicht gekommen ist. Zwar ist deren Aussage, es sei die Errichtung einer "digitalen Diktatur" geplant, mißverständlich. In jedem Fall ist aber der Weg ins digitale Desaster absehbar.

Alle Macht dem Bund...


Worum geht es? Zunächst einmal wird der Förderalismus im Bereich der Informationstechnologie faktisch aufgegeben. Da es sich um eine zukunftsweisende Schlüsseltechnologie handelt, mit der auch faktische Machtausübung und Kontrolle über Informationen und ihren Fluß verbunden ist, bedeutet die Grundgesetzänderung einen massiven Angriff auf die Verfassungsautonomie der Länder. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als ja auch die Schuldenbremse den Landtagen und damit den Landtagsabgeordneten der Bundesländer ihre verfassungsmäßige Haushaltsautonomie entzieht und auf einen demokratisch nicht legitimierten "Stabilitätsrat" (Art. 109a GG neu) überträgt. Diese Vorgehensweise hat sich offenbar vom SOFFIN-Gesetz "bewährt". Auch in der IT ist ein entsprechendes Gremium geplant, dass künftig die Entscheidungen an den Parlamenten vorbei treffen kann (§ 1 Abs. 2 IT-NetzG neu).

Der Art. 91c GG neu in Verbindung mit dem gleichzeitig verabschiedeten Begleitgesetz zur Förderalismusreform schafft damit die Grundlagen, die gesamte IT von Bund und Ländern fremd zu vergeben (§ 5 Abs. 1 IT-NetzG neu:)

(1) Hinsichtlich des Verbindungsnetzes ist gemeinsame Vergabestelle des Bundes und der Länder einschließlich der mittelbaren Bundes- und Landesverwaltung eine vom Bundesministerium des Innern zu bestimmende Bundesbehörde. Der Bund kann Unternehmen mit dem Aufbau und dem Betrieb des Verbindungsnetzes beauftragen.

... oder gar der EU und ihren Konzernen?


Richtig interessant wird dies im Zusammenhang mit den Argumenten, die Sarah Hassel-Reusing in ihrer vom Bundesverfassungsgericht bisher nicht öffentlich behandelten Klage gegen den EU Vertrag von Lissabon vorträgt. Denn mit Inkrafttreten dieses Vertrages müßten Art 91 c GG neu und § 5 Abs. 1 IT-NetzG neu zu diesem konform ausgelegt werden. Das würde bedeuten, wenn ihre Argumentation richtig ist, dass u.U. Konzerne die europaweite Ausschreibung all dieser Dienstleistungen über den Europäischen Gerichtshof erzwingen könnten. Dies würde bedeuten, dass auf dem Weg über die Informationstechnologie alle Verwaltungsvorgänge der Öffentlichen Hand in den Machtbereich einschlägiger Konzerne wandern könnten, die bekanntlich nicht am Gemeinwohl, sondern am eigenen Profit interessiert sind. Die möglichen Folgen für den Bürger sind nicht absehbar. Die derzeitigen Spitzelaffairen bei Bahn und Telekom usw. weisen den Weg in die wunderbare Zukunft.

Art 91c GG neu: Modellfall Digitaler Polizeifunk, oder:

Mit Schily, Zypries und Schäuble ins IT-Desaster


Und nun zur IT-Praxis des Bundes und des Bundesministers des Innern. Im digitalen Polizeifunk, der seit zwanzig Jahren in Deutschland eingeführt werden soll, tatsächlich aber auf dem Stand von Albanien zurückliegt, gibt es bereits heute die im Gesetz genannte Vergabestelle, die für dieses Projekt verantwortlich war, sogar hat der Minister inzwischen eigens eine entsprechende "Anstalt" eingerichtet. Entgegen dem Rat unabhängiger Experten, zu denen auch der Autor dieser Zeilen gehört, hat der damalige Bundesinnenminister Schily über diese Vergabestelle den digitalen Polizeifunk auf der Grundlage völlig veralteter Technologie an ein Konsortium von EADS und Siemens AG offenkundig aufgrund massiven Lobbyismus vergeben. Sein Nachfolger Schäuble führte diese Politik fort. Eine Petition des Autors unter dem Aktenzeichen Pet 1-16-06-2002-007095 wurde 2006 vom Deutschen Bundestag auf Betreiben des BMI abgelehnt - 2006 hätte der alternative Ansatz auf der Grundlage moderner Technologie unter Verwendung bereits bestehender Netze bereits bei Kosteneinsparungen in Milliardenhöhe rechtzeitig zur Fußballweltmeisterschaft in Betrieb gehen können. Ebenso wurde ein Ermittlungserfahren gegen Unbekannt wegen möglicher Bestechung bzw. Vorteilsnahme bei der Auftragsvergabe von der zuständigen Staatsanwaltschaft mit umfangreicher Begründung eingestellt. Inzwischen ist bekannt, dass Bundesinnenminister a.D. Schily MdB seine Nebeneinkünfte im Rahmen seiner an das Ministeramt anschließenden Abgeordnetentätigkeit nicht offenlegen will, insbesondere nicht die Nebeneinkünfte mit der Fa. Siemens AG.

Für den Haushaltsausschuss des Bundestages stellt sich die Situation des Digitalen Polizeifunks mittlerweile als Desaster dar.

Man mag nur schwer an Zufall glauben, wenn das Gesetzespaket Förderalismusreform II durch weitere Verlagerungen wichtiger in die Parlamente gehörender Entscheidungen auf faktisch von Parlamenten und Öffentlichkeit unkontrollierte Gremien beste Voraussetzungen auch für künftig "erfolgreichen", krass egoistischen Lobbyismus schafft. Der Bürger darf zahlen und die Bundes- und Landtagsabgeordneten, die nichts mehr zu sagen haben (manche ohne es zu merken), schön zustimmen. Bekanntlich ist Wissen ja eine Belastung. Also läßt man besser woanders denken.

Der Bundesrat muß noch mit zwei Drittel Mehrheit zustimmen.

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