"QUADRAGESIMO ANNO" oder was die CDU vergessen hat

Eine vernünftige Antwort auf die Frage nach der wahren sozialen Marktwirtschaft hätte CDU-Generalsekretär Gröhe zwischen den Zeilen bei Benedikt XVI. im Bundestag heraushören können. Aber noch viel schallender bei einem seiner Vorgänger, Pius XI.

Die Enzyklika Quadragesimo Anno (1931) Pius XI'

Die von einem der Väter echter sozialer Marktwirtschaft, Oswald von Nell-Breuning SJ entworfene Enzyklika des Papstes Pius XI von 1931 ist trotz ihres Alters von 80 Jahren erschreckend aktuell, müßte auch Angela Merkel und Volker Kauder in den Ohren klingeln und läßt in ihrer Analyse nichts zu wünschen übrig. Hier ein Auszug:


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 Wandlungen der kapitalistischen Wirtschaftsweise

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101. Dieser Wirtschaftsweise bemüht sich Leo die rechte Ordnung zu geben; daraus folgt, daß sie als solche nicht zu verdammen ist. Und in der Tat, sie ist nicht in sich schlecht. Die Verkehrtheit beginnt vielmehr erst dann, wenn das Kapital die Lohnarbeiterschaft in seinen Dienst nimmt, um die Unternehmungen und die Wirtschaft insgesamt einseitig nach seinem Gesetz und zu seinem Vorteil ablaufen zu lassen, ohne Rücksicht auf die Menschenwürde des Arbeiters, ohne Rücksicht auf den gesellschaftlichen Charakter der Wirtschaft, ohne Rücksicht auf Gemeinwohl und Gemeinwohlgerechtigkeit.


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 Vermachtung als Ergebnis der Wettbewerbsfreiheit

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105. Am auffallendsten ist heute die geradezu ungeheure Zusammenballung nicht nur an Kapital, sondern an Macht und wirtschaftlicher Herrschgewalt in den Händen einzelner, die sehr oft gar nicht Eigentümer, sondern Treuhänder oder Verwalter anvertrauten Gutes sind, über das sie mit geradezu unumschränkter Machtvollkommenheit verfügen.

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106. Zur Ungeheuerlichkeit wächst diese Vermachtung der Wirtschaft sich aus bei denjenigen, die als Beherrscher und Lenker des Finanzkapitals unbeschränkte Verfügung haben über den Kredit und seine Verteilung nach ihrem Willen bestimmen. Mit dem Kredit beherrschen sie den Blutkreislauf des ganzen Wirtschaftskörpers; das Lebenselement der Wirtschaft ist derart unter ihrer Faust, daß niemand gegen ihr Geheiß auch nur zu atmen wagen kann.

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107. Diese Zusammenballung von Macht, das natürliche Ergebnis einer grundsätzlich zügellosen Konkurrenzfreiheit, die nicht anders als mit dem Überleben des Stärkeren, d. i. allzu oft des Gewalttätigeren und Gewissenloseren, enden kann, ist das Eigentümliche der jüngsten wirtschaftlichen Entwicklung.

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108. Solch gehäufte Macht führt ihrerseits wieder zum Kampf, zu einem dreifachen Kampf: zum Kampf um die Macht innerhalb der Wirtschaft selbst; zum Kampf sodann um die Macht über den Staat, der selbst als Machtfaktor in den wirtschaftlichen Interessenkämpfen eingesetzt werden soll; zum Machtkampf endlich der Staaten untereinander, die mit Mitteln staatlicher Macht wirtschaftliche Interessen ihrer Angehörigen durchzusetzen suchen und wieder umgekehrt zum Austrag zwischenstaatlicher Streithändel wirtschaftliche Macht als Kampfmittel einsetzen.

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Schlimme Folgen

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109. Die letzten Auswirkungen des individualistischen Geistes sind es, die Ihr, Ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne, vor Augen habt und beklagt: der freie Wettbewerb hat zu seiner Selbstaufhebung geführt; an die Stelle der freien Marktwirtschaft trat die Vermachtung der Wirtschaft; das Gewinnstreben steigerte sich zum zügellosen Machtstreben. Dadurch kam in das ganze Wirtschaftsleben eine furchtbare, grausenerregende Härte. Dazu traten die schweren Schäden einer Vermengung und unerfreulichen Verquickung des staatlichen und des wirtschaftlichen Bereichs. Als einen der schwersten Schäden nennen Wir die Erniedrigung der staatlichen Hoheit, die, unparteiisch und allem Interessenstreit entrückt, einzig auf das gemeine Wohl und die Gerechtigkeit bedacht, als oberste Schlichterin in königlicher Würde thronen sollte, zur willenlos gefesselten Sklavin selbstsüchtiger Interessen. Im zwischenstaatlichen Leben aber entsprang der gleichen Quelle ein doppeltes Übel: hier ein übersteigerter Nationalismus und Imperialismus wirtschaftlicher Art, dort ein nicht minder verderblicher und verwerflicher finanzkapitalistischer Internationalismus oder Imperialismus des internationalen Finanzkapitals, das sich überall da zu Hause fühlt, wo sich ein Beutefeld auftut.

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Abhilfe

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110. Die Mittel, um diesen schweren Übelständen abzuhelfen, haben Wir im lehrhaften (zweiten) Teil dieses Rundschreibens dargelegt, so daß hier eine kurze Erinnerung genügt. Da Kapital und Arbeit die heutige Wirtschaft bestimmen, kommt es darauf an, die rechten Vernunftgrundsätze, das sind die gesunden Prinzipien christlicher Sozialphilosophie, über Kapital, Arbeit und deren Verbindung wieder zur theoretischen Anerkennung und zur praktischen Anwendung zu bringen. Dem Doppelcharakter sowohl des Eigentums als der Arbeit, d. i. ihrer Individual- und Sozial-Natur, ist billig und sorglich Rechnung zu tragen, um die Klippen gleicherweise des Individualismus wie des Kollektivismus zu vermeiden. Die wechselseitigen Beziehungen von Kapital und Arbeit sind nach den Anforderungen der strengsten Verkehrsgerechtigkeit auszurichten unter Beihilfe der christlichen Liebesgesinnung. Der freie Wettbewerb, innerhalb der gehörigen Schranken gehalten, mehr noch die wirtschaftliche Macht, sind der öffentlichen Gewalt in allem, was deren Amtes ist, entschieden unterzuordnen. Das menschliche Gemeinschaftsleben insgesamt ist durch die öffentlichen Einrichtungen den Erfordernissen des Gemeinwohls, oder, was dasselbe besagt, den Anforderungen der Gemeinwohlgerechtigkeit entsprechend zu gestalten, womit es nicht ausbleiben kann, daß auch jener überaus bedeutsame Zweig gesellschaftlichen Lebens, den die Wirtschaft ausmacht, zur rechten und gesunden Ordnung sich zurückfindet.


Die vollständige Enzyklika finden Sie hier bei den Katholischen Theologen der Universität Innsbruck.

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