Wird Jörg Tauss MdB erstes prominentes Opfer des neuen EU-Sexualstrafrechtes? [update]

Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit wurde zum 1.1.2009 auf Veranlassung des Europäischen Rates, also der Regierungen Europas, das deutsche Sexualstrafrecht drastisch und entgegen dem Rat in den Expertenanhörungen verschärft, dem Jörg Tauss (MdB) jetzt möglicherweise zum Opfer fällt.

Es ist noch nicht lange her, da zitterte die Republik um den 17jährigen Marco W., der in der Türkei wegen des Verdachts der Verführung einer 13jährigen Britin, die freilich wohl älter gewirkt hatte, in Untersuchungshaft saß. Ganz Deutschland einschliesslich seiner Konzernpresse war sich einig: Wegen eines Urlaubsflirts darf Marco nicht bei den schlimmen Türken ins Gefängnis, SPD-Vize Steinmeier u.a. kritisierten heftig die türkische Justiz. Marco W. konnte schließlich Ende 2007 nach Deutschland ausreisen, der Prozess in der Türkei soll im April seinen Abschluss finden.

Die gleichen Regierungspolitiker, die sich öffentlich über die türkische Justiz empörten, haben nun freilich zum 1.1.2009 das "Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie" in Kraft gesetzt, das das seit Jahren bestens bewährte deutsche Sexualstrafrecht erheblich verschärft. In der Expertenanhörung im Bundestag wurde es erheblich kritisiert, vor allem wegen der weitgehend undifferenzierten Gleichsetzung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen. Laut Experten wurden auch Strafverschärfungen über den Rahmenbeschluss hinaus in das Gesetz hineingeschrieben. Aufgrund des EU-Rahmenbeschlusses wurde jedoch insbesondere eine neue Strafvorschrift ins deutsche Strafgesetzbuch aufgenommen, die auch pornographische Darstellungen mit Jugendlichen, also Personen zwischen vierzehn und achtzehn Jahren, unter Strafe stellt. Wer solches Material besitzt, wird gem. § 184c StGB, ggf. i.V.m. § 184d, bestraft.

Nachdem Wortlaut des Gesetzes reicht also unter Umständen eine in eindeutiger Pose dargestellte, im Web angesurfte 17jährige aus (die wie eine 18jährige aussieht), um eine Strafverfolgung auszulösen - ein potenzielles Einfallstor für die Kriminalisierung eines Großteils der deutschen Internet-Nutzer? Wenn es stimmt, dass 43% aller Internet-Nutzer Pornoseiten besuchen, und man diese Vorschriften im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung betrachtet, dann ist ein großer Prozentsatz der deutschen Bürger durch solche Vorschriften potenziell erpressbar bzw. kriminalisierbar. Wohl kein Zufall, dass erst ein EU-Beschluss hermusste, mutmasslich von Justizministerin Zypries (SPD) mitbeschlossen, um den Bundestag dazu zu bringen, diese Strafverschärfungen zu beschließen. Denn ohne EU hätte niemand das bewährte deutsche Sexualstrafrecht geändert. Lissabon läßt grüßen!

Mit Jörg Tauss - die genauen Vorwürfe gegen ihn kennen wir nicht und wissen noch weniger, ob sie wahr sind - trifft es also nun potenziell einen derjenigen, der solche EU-Beschlüsse als Abgeordneter der großen Koalition mit durchgewunken hat.

Merkwürdig allerdings, dass es sich bei ihm ausgerechnet um einen Volksvertreter handelt, der diesen Namen noch verdient und sich immer wieder für die Bürgerrechte im elektronischen Zeitalter eingesetzt hat. Deshalb hatte er sich mit seiner SPD-Fraktionsführung, sowie Innen- und Justizministerium überworfen. In der Folge verlor er als IT-Kundiger der SPD-Fraktion seine Zuständigkeit für Datenschutz und wurde durch einen Kollegen ersetzt, der bisher nicht durch solche Kenntnisse aufgefallen ist. Auch hatte sich Tauss mit mächtigen Lobbys angelegt, indem er auf öffentliche Offenlegung des milliardenschweren Toll-Collect-Vertrages mit bisher unbekannten Ergebnis geklagt hat. Wir können Jörg Tauss nicht hinter die Stirn schauen, aber sein gezielter politischer Abschuß aufgrund echter oder von wem auch immer manipulierter Fakten erscheint höchst plausibel, womöglich aufgrund der dafür geeignet neu geschaffenen Gesetzeslage.

Und noch viel merkwürdiger, dass innerhalb kürzester Zeit wegen eines solchen Verdachts bei einem unbequemen Bundestagsabgeordneten eine Haus- und Bürodurchsuchung stattfindet und seine Immunität aufgehoben wird, während in Sachen Untreue im Volumen von 25 Milliarden Euro bei der IKB - vergleiche dazu die Ausführungen von Prof. Dr. iur. Dr. h.c. mult. Marcus Lutter - mit Milliardenlasten für die Allgemeinheit und nachfolgende Generationen bisher trotz offensichtlich völlig klarer Sachlage seit Monaten die Staatsanwaltschaft weder gegenüber dem ehemaligen Bankvorstand noch gegenüber den Mitgliedern des früher u.a. mit Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen besetzten Aufsichtsrat der IKB Anklage erhebt und ggf. die betreffenden Personen in Untersuchungshaft nimmt. Müßte die öffentliche Empörung hierüber nicht ungleich größer sein, als über den bisher reinen Verdacht einer menschliche Schwäche eines Abgeordneten, der in seinem Engagement für das Gemeinwohl im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen bisher stets authentisch und unbestechlich wirkte?

[update 6.3.2009]

  • Bei Telepolis findet sich ein interessanter Hintergrundbericht dazu.
  • In Udo Vetters Lawblog finden sich Anmerkungen zur Rechtslage und ein höchst interessanter Hinweis eines Kommentators und Bloggers (fefe) dazu: Der Vorsitzende des Immunitätsausschusses des Deutschen Bundestages, Thomas Strobl, sei der Schwiegersohn von Bundesinnenminister Schäuble. Unabhängig von den Vorgängen um Jörg Tauss, dessen Immunität ruck-zuck aufgehoben wurde, wäre eine solche Besetzung des Vorsitzes des Bundestagsausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung skandalös: Das Immunitätsrecht der Abgeordneten dient ja gerade dem Schutz vor ungerechtfertigten Strafverfolgungsmaßnahmen durch die Exekutive. Der Ausschuss soll gerade darüber wachen, dass die Immunität von Abgeordneten nur aufgehoben wird, wenn es zweifelsfrei geboten ist. Bei einer solchen Besetzung des Ausschussvorsitzes ist eine Interessenkollision quasi automatisch eingebaut.
[update 7.3. 2009]
siehe auch
Die Existenz dieses zwölf Jahre alten Papiers mit Tauss' Unterschrift  scheint die These zu stützen, dass die Politik mit der bestehenden Gesetzgebung über das Ziel hinausgeschossen ist, weil sie auch die Recherche und öffentliche Diskussion über Kinderpornographie anhand von Beispielmaterial im Grunde kriminalisiert hat - und damit gewollt oder ungewollt, ebenso wie mit der Sperrung von Internetseiten einschlägigen Inhalts, im Grunde Täterschutz für die wirklichen Kinderpornographen betreibt. Denn statt dass die Energie der empörten Bürger sich gegen die einschlägigen Webseiten richten kann und in der Folge deren Urheber bestraft werden, sollen sie weggefiltert und der Öffentlichkeit vorenthalten werden - warum? Wem dient das? Werden so nicht Zeugen kriminalisiert, die bei solchen Risiken sich erst gar nicht an die Polizei wenden werden? Werden künftig Mordzeugen die Augen staatlicherseits vor der Tat verbunden, damit Mörder keiner öffentlichen Kontrolle mehr ausgesetzt sind? Tauss könnte - zufällig oder geplant - das unfreiwillige Opfer seiner zwölfjährigen eigenen politischen Bemühungen gegen Kinderpornographie geworden sein, während die Staatsanwaltschaft Karlsruhe das bestehende Gesetz gegen ihn anwendet bzw. anwenden muss - das allerdings bei dieser Form der Anwendung vermutlich verfassungswidrig ist.

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