Wirtschaften "als ob"
Das Handelsblatt jubelt:
Die Bundesregierung kann sich über einen Geldregen freuen: Mit der Deutschen Telekom und der Deutschen Post legen zwei Ex-Monopolisten nicht nur gute Zahlen vor. Es zeichnen sich auch hohe Dividendenzahlungen ab, von denen der Staat und die KfW-Bankengruppe als Hauptaktionäre maßgeblich profitieren.
Und weiter heißt es
Die Telekom entscheidet zwar erst im Februar 2010 über die Dividende. Aber Vorstandschef Rene Obermann machte bereits gestern Mut: „Weiterhin bleibt die Deutsche Telekom einer attraktiven Dividendenpolitik für ihre Aktionäre verpflichtet.“ Die Ausschüttung solle „der Logik der vergangenen Jahre“ folgen. Das heißt, die Dividende basiert vor allem auf dem Free Cash-Flow und dem bereinigten Ebitda.
Die handelnden Akteure dürfen sich ob dieser gelungenen Täuschung auf die Schenkel klopfen. Wenn sie überhaupt verstanden haben, was sie da eigentlich tun. Der große Vorteil davon, Top-Positionen mit Unwissenden zu besetzen, besteht ja darin, dass diese mit dem größten Selbstvertrauen den größten Blödsinn verzapfen können, und dies wegen solcherart "Überzeugungskraft" zunächst niemand hinterfragt. EBITDA und Free Cash Flow sind nämlich sogenannte Pro Forma Kennzahlen.
"Pro Forma" = "Als Ob"
Der ins Deutsche aus dem Fachenglischen von der deutschen Betriebswirtschaftslehre leicht irreführend 1:1 übernommene Begriff der Pro Forma Berichterstattung bedeutet in Wahrheit nichts anderes als Als-Ob-Berichterstattung. EBITDA ist nichts anderes als der Gewinn, aber als ob da nicht Steuern und Zinsen zu zahlen und keine Abschreibungen und Wertverluste zu berücksichtigen wären. Free Cash Flow ist nichts anderes als der Cash Flow, aber als ob keine Kapitalkosten zu bezahlen wären - die gerade bei Telekommunikationsanbietern wie der Deutschen Telekom ebenso wie Abschreibungen und Zinsen wegen der teuren Infrastruktur für das Geschäft fast alleine entscheidend sind. Nahezu die gesamte Finanz-Berichterstattung der Deutschen Telekom - zuletzt in der der Berichterstattung des Handelsblattes sicher auch zugrundeliegenden Pressemitteilung vom 6.11.2009 - basiert auf als ob. Mit dieser Pressemitteilung dürfte die Deutsche Telekom auch die Grenzen des von der SEC erlaubten überschritten haben. Im Gegensatz zur deutschen Börsenaufsicht verbietet es nämlich die US Börsenaufsicht SEC den in USA börsennotierten Unternehmen, also auch der Deutschen Telekom AG, Als-Ob Kennzahlen in den Focus der eigenen Berichterstattung zu stellen, ohne sie in einen klaren Zusammenhang mit realen Kennzahlen wie z.B. Gewinn und Verlust zu setzen. Mit dem Ausscheiden des großen Obfuskators und Arcandor-Pleitiers Karl-Gerhard-Eick als Finanzchef, der allerdings wohl noch gewußt haben dürfte, was er tat, scheint auch diese von ihm ohnehin schon reichlich getestete Grenze überschritten. Eingeführt wurde diese Art der Berichterstattung übrigens unter Goldman-Sachs-Freund Ron Sommer.
Passend dazu hatte dieser österreichische Doktor der Mathematik einstmals über "Grenzwertsätze über die Entropie zahlentheoretischer Transformationen" promoviert.
Finanz-Staatssekretär als Als-Ob Aufsichtsrat
Einer, der diese Zustände in vielfacher Hinsicht verantwortet, ist Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen. Zum einen hat es "seine" Börsenaufsicht allen börsennotierten Unternehmen in Deutschland erlaubt, solch groben Unsinn zu berichten. Zum anderen sitzt er im Aufsichtsrat der Deutschen Telekom AG und billigt diese Berichterstattung des Vorstandes. Apropos Aufsichtsrat... er saß auch im Aufsichtsrat der Skandalbank IKB, bevor diese mit zweistelligen Steuermilliarden "gerettet" wurde. Obwohl in hoch angesehenen juristischen Fachzeitschriften seine Strafbarkeit wegen Untreue per Aufsatz dargelegt wird und der Altmeister des Aktienrechts, Prof. Dr. Dr. hc. mult. Marcus Lutter im Zusammenhang mit den Organmitgliedern der IKB öffentlich von Untreue in unvorstellbarem Ausmaß wegen pflichtwidriger Spekulation mit einem Drittel der Bilanzsumme spricht, erhebt die Staatsanwaltschaft Düsseldorf bisher keine Anklage.
Der Grund dafür könnte in einer politischen Weisung seitens der nordrhein-westfälischen Landesregierung an die Staatsanwaltschaft Düsseldorf liegen. Denn auch Düsseldorf hatte "seinen" Staatssekretär im Aufsichtsrat der IKB. Aber, noch schlimmer, es könnte auch sein, dass die Staatsanwaltschaft tatsächlich keinen Vorsatz nachweisen kann, der Voraussetzung für eine Strafbarkeit ist. Das könnte eigentlich nur dann der Fall sein, wenn die Akteure tatsächlich absolut nichts von ihrem Geschäft verstanden haben. Als Als-Ob Vorstände und Als-Ob Aufsichtsräte eben! Oder Als-Ob Staatssekretär. So bleibt eben alles als ob...
Dividende aus Free Cash Flow = Dividende aus neuen Schulden
Genauso könnte es nun auch bei der Deutschen Telekom AG laufen. Denn Dividendenpolitik "nach der Logik der vergangenen Jahre" orientiert am EBITDA und Free Cash Flow bedeuten bei dem Unternehmen nichts anderes als permanente plünderische Zahlungen auf immer noch mehr Pump, nach bewährter Heuschrecken-Manier. Allein die Brutto-Finanzverbindlichkeiten der Deutschen Telekom stiegen vom 30.9.2008 zum 30.9.2009 von 44,4 Milliarden € um 13,6% auf 50,5 Milliarden € (Zwischenbericht, S. 17). Kredite stellen dabei für die beteiligten Kreditgeber kein Risiko dar. Womöglich stecken sie mit ebenfalls Dividenden-empfangsberechtigten privaten Großaktionären sogar unter einer Decke. Denn sie wissen, bei Insolvenzgefahr wird es der Steuerzahler in bewährter Weise richten, die Deutsche Telekom ist too big to fail. Sind die Akteure too big to jail?
Literaturhinweis
[update 11.11.2009:]
siehe auch unsere frühere Dokumentation, Deutsche Telekom: Falsche Kennzahlen auf den Börsenzetteln vom April 2008
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