Die Kennzahl, das unbekannte Wesen
Der Harvard Business Manager berichtet darüber, dass offenbar nur 38% einer Stichprobe von Managern (vom Mittelmanagement bis zum Geschäftsführer) einfache Fragen über Finanzkennzahlen von Unternehmen richtig beantworten konnten.
Sogar siebzig Prozent kennen nicht die korrekte Definition von Cash Flow (Kapitalfluß, Zahlungsstrom), der, wie der Harvard Business Manager richtig berichtet, die Grundlage aller Betrachtungen der Finanzprofis etwa an Wall Street ist. Dort allerdings in der komplexeren Form der sogenannten Discounted Cash Flow Methode (DCF) für Investitions- und Unternehmensbewertungen. Die eng verwandten deutschen Barwertmethoden dürften noch weniger bekannt sein. Ferner sei die Bereitschaft, sich Kennzahlen erklären zu lassen bzw. sie zu hinterfragen, gleich null.
An dieser Stelle traut sich freilich Harvard Business Manager nicht, die offenkundigen Ursachen nicht nur anzudeuten, sondern klar zu benennen: In einem Umfeld, das von ganz oben von völlig ahnungslosen, nicht hinterfragungsfähigen Führungskräften dominiert wird, wird derjenige, der zu viele Fragen stellt, als Bedrohung identifiziert und konsequent eliminiert. Deshalb hat Deutschland inzwischen zahlreiche hochqualifizierte Arbeitslose.
Aber es kommt noch schlimmer: Mit der Einführung des Bachelor / Master Systems, mit dem in Deutschland die international ehemals als Alleinstellungsmerkmal hoch angesehenen, grundsätzlich sehr bewährten Diplomstudiengänge abgeschafft wurden, lernen heutige Studenten auch genau dieses Verhalten. Sie werden in der kürze der Zeit eines Bachelor Studiums darauf dressiert, Stoff einzupauken und wiederzugeben - zum Verstehen haben sie keine Zeit mehr, Hinterfragen ist hinderlich zum kurzfristigen Bestehen von Prüfungen - und nur wer den Bachelor gut macht, ist für den Master "qualifiziert", darf weiter studieren. So wird eine negative Auswahl regelrecht systematisch produziert. Katastrophal für ein Land der Dichter und Denker, das keine nennenswerten Rohstoffe hat.
Tür und Tor weit offen für Betrüger und Machenschaften
Aber zurück zur aktuellen Situation der Unternehmen. Es ist natürlich völlig klar, dass sich diese ahnungslosen, sogenannten Führungskräfte dankbar extern beraten lassen. Für ausgebuffte Finanzprofis, die als ihre Berater gerne Gottes Werk tun, sind sie die optimale Besetzung, um Unternehmen kalt lächelnd nachhaltig zum eigenen Vorteil ausplündern zu können. Teilstaatliche Großunternehmen wie Post und Telekom, Privatisierungen, und sogenannte Public-Private-Partnerships sind geradezu ideal dafür - aber es dürfen schon mal auch andere DAX-Unternehmen sein, die ebenfalls von Generationen aufgebaut wurden. Denn es soll sich ja auch lohnen! Beim Staat jedenfalls braucht man nur die noch ahnungslosere Politik einzulullen, um eine nachhaltig unfähige Führung zu etablieren. So kann man Unternehmen jahrzehntelang aussaugen, während der Öffentlichkeit mit nutzlosen Phantasiekennzahlen wie etwa Free Cash Flow und EBITDA Erfolge vorgegaukelt werden. Jetzt wissen wir also einmal mehr, warum sie so leichtes Spiel hatten und haben.
Und weil auf betriebswirtschaftlicher Ebene, also auf Unternehmensebene, alles so gut funktioniert hat, wurde das ganze Spiel auch noch auf volkswirtschaftlicher Ebene in noch größeren Dimensionen wiederholt, nämlich mit der Finanzkrise. Dort hat man sich dann mit Erfolg gleich die Beraubung ganzer Staaten vorgenommen. Weil, volkswirtschaftliche Kennzahlen, die keiner kennt, sind noch komplizierter!
Links:
Karl-Gerhard Eick, der große Obfuskator
Literatur:
Wöhe, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre
Heiden, Pro Forma Berichterstattung: Reporting zwischen Information und Täuschung
Werner, Neue Wirtschaftspolitik
Jahnke, Die zweite Große Depression: Wo die Krise herkommt · Wo sie hinführt · Was tun?
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