EU Vertrag in Tschechien und Deutschland vor Gericht

Während der tschechische Staatspräsident Václav Klaus das tschechische Verfassungsgericht mit Sitz in Brünn scharf kritisiert und sein Urteil zum Lissabon-Vertrag als "laienhaft und konzeptionell fehlerhaft" bezeichnet, denkt bisher das deutsche Bundesverfassungsgericht still über die ihm vorliegenden einschlägigen Klagen nach.

Die Entscheidung des tschechischen Gerichts bezieht sich offenbar nur auf einzelne Passagen des EU-Vertrages von Lissabon , die dort vor Gericht in einem Normenkontrollverfahren angegriffen worden waren. Weitere Passagen könnten auch weiterhin noch angegriffen werden, so ermutigt der tschechische Staatspräsident seine Parlamentarier.

In Deutschland ist das Bundesverfassungsgericht u.a. auf die Klage von MdB und Staatsminister a.D. Dr. Peter Gauweiler bisher nicht nach aussen erkennbar aktiv geworden, nachdem es die verfahrensbeteiligten Verfassungsorgane, insbesondere die Bundesregierung, zu Stellungnahmen aufgefordert hatte.

Auch für das Gericht steht dabei viel auf dem Spiel. Bisher hatte es sich mit seinen " Solange "- und Maasstricht - Entscheidungen eher sibyllinisch zur EU geäußert, was hier nicht mehr funktionieren dürfte. Während der Mainstream der herrschenden Politik parteiübergreifend noch nicht einmal einen Anflug von Ahnung über die verfassungsrechtliche Brisanz des Vertragswerks erkennen läßt, haben sich höchst angesehene Rechtswissenschaftler, wie etwa der frühere Bundespräsident, Bundesverfassungsgerichtspräsident und langjährige Grundgesetzkommentator Prof. Dr. Roman Herzog äußerst kritisch und ablehnend über den nahezu inhaltsgleichen EU-Verfassungsvertrag geäußert. Auch in der juristischen Literatur wird zunehmend heftiger kritisiert, dass die herausragenden Errungenschaften des Grundgesetzes durch die Politik von EU-Organen wie etwa dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) untergehen, die durch den Vertrag noch einmal deutlich gestärkt würden. Schließlich steht für das Bundesverfassungsgericht neben seinem bisher ausgezeichneten juristischen Ruf auch noch die eigene Machtposition auf dem Spiel - erkennt es den absoluten Vorrang europäischen Rechts an, wie er im Vertrag erstmals niedergeschrieben wurde, ist es künftig außen vor - wie auch der Grundrechtsschutz des Grundgesetzes.

Solange Irland jedoch aufgrund des ablehnenden Ergebnisses seiner Volksabstimmung den Vertrag nicht unterzeichnen kann, besteht für das Bundesverfassungsgericht wohl kein dringender Entscheidungsbedarf. Die Entscheidung über die Vereinbarkeit des Grundgesetzes und der Europäischen Verfassung - ein dem Vertrag fast textgleiches Machwerk mit ebenfalls tausenden von Seiten - mußte das Gericht in der Vergangenheit aufgrund von mehreren negativen Volksabstimmungen, darunter Frankreich und der Niederlande, gar nicht mehr treffen. Derweil verfielen die Regierungschefs im Europäischen Rat auf den Trick, dem Kind einen anderen Namen zu geben - nicht mehr Verfassung sollte es künftig heißen, sondern nur noch EU- Vertrag (von Lissabon), um die bei Verfassungsänderungen in etlichen EU-Staaten vorgeschriebenen Volksabstimmungen zu umgehen. Übrigens verlangt auch das Grundgesetz bei einer das Grundgesetz ablösenden Verfassung eine Volksabstimmung.

Weitere politische Brisanz erhält das Thema durch die aktuelle Finanzkrise: Mit dem Vertrag von Lissabon würde die bereits ohnehin vom EuGH mit nahezu religiösem Eifer gepushte EU-weite Deregulierung in Form der Freiheit des Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs mit Verfassungsrang für alle Zeiten in Stein gemeisselt. Viele Experten sind sich jedoch einig, dass überzogene Deregulierung wesentliche Ursache der Finanzkrise ist. Für das Grundgesetz sind andere Freiheiten prägend, wie z.B. die Menschenwürde. Die kommt im EU-Vertrag nur als Verweis vor.

Links: Václac Klaus übt scharfe Kritik am tschechischen Verfassungsgericht
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