Meinungsmache

"Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen." Eine Rezension von Albrecht Müllers gleichnamigem Buch.

Nunmehr im dritten Jahr bin ich in diesem Blog merkwürdigen, zunächst völlig unerklärlich erscheinenden Phänomenen in Wirtschaft und Gesellschaft auf der Spur, ursprünglich mit Fokus Deutsche Telekom AG, wie sie etwa Wolfgang Philipp in seiner Telekom-Ballade beschrieben hat, und ich sie auch selbst erlebt habe. Unbegreifliche Fehlentscheidungen auf höchster Ebene, die anscheinend von niemandem in Frage gestellt, sondern im Gegenteil plötzlich allgemein für richtig befunden werden. Aufkommende Zweifel werden im Keim erstickt, auch wenn sie sich eigentlich logisch denkenden Menschen unmittelbar erschließen würden und anhand von Nachweisen belegbar sind. Die Menschen, die berechtigte Zweifel äußern, werden systematisch kalt gestellt, je nach "Gefährlichkeit" teils bis hin zur Vernichtung ihrer beruflichen oder psychischen, ja in Einzelfällen sogar ihrer physischen Existenz , während willige Folger Karriere machen. Bei wichtigen Gremienentscheidungen oder im Gespräch mit mächtigen Entscheidungsträgern gelingt plötzlich auch mit nachweislich höchst plausiblen und vernünftigen Argumenten kein Zugang mehr.

Dafür gibt es drei Ursachen. Die eine ist die höchst unterschiedliche Verteilung der intellektuellen Leistungsfähigkeit von Menschen quer durch alle Hierarchieebenen, die immer wieder aufs Neue staunen läßt. Die zweite Ursache sind krass egoistische Handlungsweisen einzelner, nichts wirklich Neues. Die dritte Ursache, die sich die ersten beiden zunutze macht, aber vor allem auch die Art und Weise, wie sich Menschen Meinungen bilden, systematisch zur Durchsetzung eigener Interessen mißbraucht, ist Meinungsmache . Ihre Wirkungsweisen beschreibt Albrecht Müller präzise anhand zahlloser aktueller Beispiele in seinem neu erschienenen Buch "Meinungsmache". Wer wäre dazu besser berufen als ein Profi, der früher selbst als Wahlkämpfer Willy Brandts, Planer im Kanzleramt und später als Bundestagsabgeordneter Politik professionell verkaufte? Während Albrecht Müller aber zugute zu halten ist, dass er dies zur legitimen Durchsetzung einer von ihm als für das Gemeinwohl richtig erachteten Politik tat, geht es hier um ein allerdings in der menschlichen Geschichte auch nicht wirklich neues Phänomen: Die hochprofessionelle Durchsetzung höchstpersönlicher eigennütziger Interessen mit allen Mitteln (der Meinungsmache) zum ganz egoistischen Vorteil.

Schon die Gelehrten der Antike kannten solche Methoden, lehrten und analysierten sie in der Wissenschaft der Rhetorik . Als Folge der Aufklärung geriet sie jedoch in Verruf, dann in Vergessenheit und führt bis heute an deutschen Universitäten ein Schattendasein. So ist das berüchtigte argumentum ad personam schon lange ein beliebtes Mittel, durch persönliche Diskreditierung der Glaubwürdigkeit des Gegners dessen Argumente zu neutralisieren, ein Mittel, das Meinungsmacher in vielfältiger Weise einsetzen.

Albrecht Müllers Buch, zu dem Koauthor Wolfgang Lieb Beispiele aus der Hochschulpolitik beigetragen hat, liefert jedoch wertvolle neue Erkenntnisse. Zum einen stellt es einen Bezug zu neuesten hirnphysiologischen Erkenntnissen her, die so bisher rein empirische Befunde darüber absichern, wie Meinungsbildung erfolgt. Zum anderen, und darin liegt der wichtigste Beitrag seines Buches, stellt er die Methoden der Meinungsmache in den Dimensionen der modernen Mediengesellschaft und der sie beherrschenden internationalen (Medien-) Konzerne dar, belegt mit vielen praktische Beispielen. Dort nämlich erlangen die Methoden ungeheure, unkontrollierte, politische Macht, meist ohne dass dies uns allen auch nur im Geringsten transparent würde. Die Lektüre des Buches wird damit zum unglaublichen Augenöffner auch für diejenigen, die nicht den politischen Standpunkt des Autors teilen. So wird es dem Wunsche des Hauptautors entsprechend zur Anleitung, die Dinge wieder kritisch zu hinterfragen, um zu sehen, ob sie wirklich so sind, wie sie uns scheinen, und vor allem: scheinen sollen. Ein Thema, das wohl nicht zufällig auch viele zeitgenössische Science Fiction Autoren bewegt hat, so etwa im Film Matrix oder in Stanislaw Lems Futurologischem Kongreß , aber auch bei George Orwells Neusprech (orig. engl. Newspeak) in " 1984 ".

"Meinungsmache" zeigt uns schonungslos, wieviel Fiktion bereits Realität unserer globalen Gesellschaft geworden ist. Gleichzeitig weist es aber auch einen Weg in die Zukunft, wie wir uns dagegen wehren können. Es ist damit absolute Pflichtlektüre für jeden politisch interessierten, Medienschaffenden, aber auch Staatswissenschaftler und -praktiker.

Albrecht Müller, Meinungsmache, Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen, Droemer-Verlag, München, August 2009, ISBN 978-3-426-27458-3

Siehe auch: Albrecht Müller auf nachdenkseiten.de

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